Rudi Dutschke (1940-1979)

Biographie I / Biographie II

 

RUDI DUTSCHKE - EIN NACHRUF

von Peter Schilinski -publiziert in >Jedermann 2/80, S.3, Wasserburg/Bodensee

Die Nachricht vom Tode Rudis hat mich tief erschüttert; ich kann es eigentlich jetzt noch nicht begreifen. Irgend etwas in mir sagt hartnäckig: Menschen wie Rudi Dutschke sterben nicht, sie leben weiter.

Wir trafen uns zum ersten Mal in Berlin während der APO-Zeit — er sprach damals ja wirklich mit jedem, der ihn sprechen wollte — im SDS-Zentrum am Ku'damm. In seinen Gedanken war er oft ein sehr schwer verständlicher, linker Intellektueller, der über die Köpfe, auch seiner Genossen, hinweg sprechen konnte. Er wußte das auch, sagte mal zu mir, daß sie als Studenten durch die Universität verbildet wären, wieder lernen müßten, die Sprache des Arbeiters zu sprechen, lachte herzlich, als ich hinzufügte, es würde wohl länger dauern als ein ganzes Studium, wenn Studenten wieder lernen würden, die Sprache der einfachen Leute zu sprechen. Sein Lachen kam immer vom Herzen, da war er voll Mensch, es war nichts Gekünsteltes, Aufgesetztes an ihm. Seine menschliche Ausstrahlung war versöhnlich, echt herzlich, auch gegenüber seinen Gegnern. Nie vergeß ich die von ihm und den Witthüslern gemeinsam organisierte Veranstaltung im Witthüs auf Sylt 1968. Ein größerer Veranstaltungsraum wurde uns im letzten Moment gesperrt, weil wir ja in einer so freiheitlichen Gesellschaft leben. So saßen die Leute dann dicht an dicht in der Teestube: Studenten, Schüler kleine und sehr große Unternehmer, wie es auf Sylt nun einmal ist. Sie wollten ihn alle hören. ... Nie hab ich einen Politischen erlebt, der sich so um die ihn zuhörenden Menschen bemühte wie er. Ich sehe es noch vor mir, wie er menschlich auf die blödesten Springer-Argumente antwortete, wie er einem bulligen Dicken, der empört gehen wollte, sagte: Bleiben sie doch, wir können ja noch nachher sprechen. Der Mann blieb wirklich; irgend etwas, was ganz einfach von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz ging, hatte ihn erreicht. .... Ich höre noch, wie einer unserer wütendsten Gegner in den Rundgesprächen, „realistischer Manager", nicht umhin konnte, in der Runde zu sagen: Ich verstehe den Dutschke nicht. Ich bin auch weiter ein Gegner aller Linken, aber der Junge ist ein anständiger Mensch, das steht fest. Der ist anständiger als alle Politiker zusammen. Der hat noch Ideale, wie wir sie auch mal hatten, als wir jung waren. Das saß, das hatte keiner erwartet.

Wie sollte man den Massen, die von der Mordhetze gegen Rudi Dutschke ergriffen waren, vermitteln, wer Rudi ist? Das war beinahe hoffnungslos angesichts der „freien" Monopolpresse in der BRD. Rudi selbst war nie hoffnungslos. Er ergriff stets mit zäher, aber ehrlich und herzlich lachender Energie die nächste Möglichkeit - auch nach dem Attentat, auch nach dem Ende der APO. Die Energie eines Menschen ist etwas Geistiges, das über den leiblichen Tod hinaus wirkt. Wenn sie, wie bei Rudi, mit echter Herzenswärme verbunden ist, hat sie etwas Heilendes. Ich bin überzeugt davon, daß wir das fühlen werden in den nächsten Jahren, in den Kämpfen extern und intern, die uns bevorstehen.

Kann es die aktiven Vertreter der Idee von der Dreigliederung erreichen, wenn ich noch berichte, daß es ein Gespräch zwischen Rudi und mir über die Dreigliederung gab? Er kannte sie natürlich nicht — woher auch? Er fand die Idee aber interessant, sagte mir, darüber müßte man mal arbeiten; ich ließ ihm ein Exemplar da (gemeint sind vermutlich „Die Kernpunkte der sozialen Frage" von Rudolf Steiner/d. Hrsg.). Zur gemeinsamen Arbeit kam es nicht, weil die Hektik in Berlin ständig zunahm. ... weiterzulesen auf Seite 79 ff in "Denker, Künstler, Revolutionäre", Rainer Rappmann (Hrsg),FIU-Verlag 1996


Johannes Stüttgen

RUDI DUTSCHKE

Joseph Beuys und Rudi Dutschke waren Wesensverwandte und Träger einer gemeinsamen historischen Mission, die aber durch den frühen Tod Dutschkes (24.12.1979) nicht mehr restlos erfüllt werden konnte. ...

Joseph Beuys und Rudi Dutschke sind sich, relativ spät, zum ersten Mal Anfang August 1977 auf der documenta 6 in Kassel am „Arbeitsplatz" der Free International University (FIU) bei der „Honigpumpe" im Museum Fridericianum begegnet. Dutschke war zum dort stattfindenden V. Achberger Jahreskongreß „Die Kontroverse um die Menschenrechte" eingeladen worden für einen Vortrag und ein Seminar, das er wegen des am selben Tag (4.8.1977) erfolgten Todes seines Freundes und Mentors, Ernst Bloch, in eine Gedenkstunde umfunktionierte. Joseph Beuys hielt sich im Hintergrund, Bloch war nie sein Fall gewesen, und das „Prinzip Hoffnung" lehnte er als eine für ihn unakzeptable Vorstellung ab, die nur der Wahrnehmung der realen Möglichkeiten im Wege stehe. Worauf es ankam, war, daß Beuys und Dutschke einen direkten Draht zueinander hatten. Ihm, diesem wirklich Großen der Studentenbewegung der späten 60er Jahre, hatten wir damals schon regelmäßig die Papiere der (von Beuys am 22.6.1967 in der Düsseldorfer Kunstakademie gegründeten) „Deutschen Studentenpartei" nach Berlin geschickt, aber zu einer Zusammenkunft mit ihm war es nie gekommen. Im Augenblick ihres ersten Sich-Gegenüberstehens war beiden klar, daß sie sich kannten. Sie verband die gleiche Intuition, vor allem aber das Feuer, sie in die Aktion umzusetzen, die gleiche (wolfshafte) Ausdauer, die gleiche Kühnheit und Hingabe sowie die Erfahrung des Todes. Beuys hat später immer wieder die außerordentliche Bedeutung dieser Begegnung für sich herausgestrichen. Dutschke muß ihm vorgekommen sein als die leibhaftige Erfüllung seiner Idee vom Menschen, der Ausnahmefall einer Gleichgewichtung von Wille, Gefühl und Denken auf hoher Stufe und ein Krieger.

„Im Nachhinein ist zu sehen, daß seit 67 eine spirituelle Brücke zu uns bestand. Dann war Rudi ja wegen seiner Kopfverletzung lange weg. 77 während der Sommeruni/FIU auf der documenta in Kassel war die Arbeit dann zwischen uns ganz spontan, so, als hätten wir schon immer zusammengearbeitet. Es war eigentlich eine ganz große Sache, ein ganz großer Moment, der Auswirkungen für die zukünftigen Auseinandersetzungen haben wird." ( Telefoninterview von Rainer Rappmann mit Joseph Beuys 1979 ) ....

Für viele war Rudi Dutschke ja der Inbegriff eines „linken" Ideologen, für Beuys aber gerade nicht. Er, der seit jener Kasseler Begegnung alles daran setzte, Dutschke eine Anstellung bei der FIU zu verschaffen (schon allein, weil er von keiner deutschen Hochschule genommen worden war - im Gegensatz übrigens zu vielen anderen 68ern! —), konnte über dessen marxistische Prägung und Tradition ohne Mühe hindurchsehen auf ein Tieferes, das sich ja selbst mit wesentlichen Zügen dieser Prägung schicksalhaft abquälte. Beuys sah in ihm, neun Jahre nach dessen Attentat und dem Niedergang der 68er Studentenbewegung, deren Kopf er war, und keine zwei Jahre mehr vor der Formierung der „Grünen" (da rumorte es ja schon), vielmehr den für alles Weitere ganz entscheidenden, großen, potentiellen Überwinder dieses Ur-Handikaps „Ideologie", das jeden Versuch einer radikalen Umwandlung immer nur zunichte machte.

„Ein antiautoritäres Prinzip ist von sich aus erstmal ein Freiheitsprinzip. Was antiautoritär ist, ist von seiner Begrifflichkeit gegen die Glaubensinhalte, d. h. auf Selbsttätigkeit angewiesen. Insofern ist es selbstverständlich ein Freiheitsprinzip. Nur wurde das Freiheitsprinzip von der antiautoritären Haltung tatsächlich nicht erkannt. Es wurde mit einem Instrument versehen, was gerade die Freiheit als Erkenntnisvorgang verhindert hat. Es kamen alte Ideen aus dem vorigen Jahrhunden, vom sogenannten Sozialismus' in die Sache rein — in der zweiten Phase. Ich sagte ja schon, was mir ganz neu war, und was ich durch einen ganz kurzen Artikel erfahren habe, daß der Rudi zuerst bei der Kunst eingestiegen ist, bei den Situationisten. Da ist er allerdings nur kurz geblieben, und dann kam die ganze soziologisch marxistische Phase. Der Rudi sagte mir ja selbst, er hätte die Sache mit dem Marxismus erkenntnismäßig überhaupt nicht durchdrungen gehabt. Hat der Rudi mir des öfteren gesagt. Er ist nur mal in der Situation gewesen, da hat er festgestellt, er würde das marxistische Vokabular nur besser beherrschen. Dies ganze Vokabular. Und er hatte die Fähigkeit, dies auf der Straße zu äußern in einer Weise, die fließend war oder eine Dynamik hatte. Dem Rudi war ja selber klar, daß er die Sache nicht kritisch durchdrungen hatte. Er hat sich fanatisch da drauf gestürzt und er beherrschte das Vokabular. Das war ihm klar. Total. " ( Joseph Beuys in einem Gespräch u.a. mit Johannes Stüttgen am 30.12.79, New York, Stanhope-Hotel, unveröffentl. Tonbandaufzeichnung.) ...

Dutschkes Moral gründete in seinem Menschensinn, der bei ihm ganz konkrete Ausstrahlung war — in seiner Liebe zum Menschen. Seine innerste Basis war die Gewißheit, daß alles vom Menschen ausgeht, daß der Mensch die Geschichte macht und deshalb auch das Herstellen der menschlichen Gestalt einer zukünftigen Gesellschaft besorgen muß. Auf dieses Ziel hin, aber auch au£ diese Methode hin war die Aktion auszurichten. Und daß sie bei jedem selbst beginnen müsse, demonstrierte er an sich selbst. Aktion - dieses Zentralelement bei ihm (wie bei Beuys) - entsprang aus seinem Wärmesinn und aus dem experimentellen Sinn, die beide, Denken und Tat, grundsätzlich zusammennehmen. Aktion — das bedeutete die Unbedingtheit des Wollens, die Unbedingtheit des Denkens, die unbedingte Offenheit, der offene Kampf der Ideen, die „permanente Konferenz" (Beuys) und alles in allem den „langen Marsch durch die Institutionen".... Für Dutschke war es auf der Basis jenes Menschensinns, dem er sich wirklich aussetzte, nur logisch, daß eine neue, nichtkapitalistische Wirtschaftsform, also auch jede Form von Sozialismus, nur auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Menschen, z. B. am Arbeitsplatz, und einer demokratischen Rechtsordnung, in der auch das Prinzip Volksabstimmung' nicht fehlen darf, denkbar ist. In alledem waren sich Beuys und Dutschke vollkommen einig,... lesen Sie weiter auf Seite 84 in "Denker, Künstler, Revolutionäre" Rainer Rappmann (Hrsg),FIU-Verlag 1996

Literatur: