Da hilft kein Hauruckverfahren - FAZ , 28.12.2006

Weiße Wände bedeuten keine Befreiung: Der Darmstädter Beuys-Block ist mit Sorgfalt zu behandeln / von Götz Adriani

Ich gehöre nicht zu jenen Jungen! und Adepten, die seit Jahrzehnten in Sachen Beuys unterwegs sind, die sich mit dem Künstler bis zur Nachahmung seiner Handschrift zu identifizieren suchen und für die die Beuys-Räume im Hessischen Landesmuseum Darmstadt selbst in ihrem verrotteten Zustand sakrosankt sind. Allerdings habe ich auch nur bedingt Verständnis für jene, die wohlklingende Reinheitsgebote verkünden und sich der Hoffnung hingeben, durch eine Radikalsanierung beziehungsweise Modernisierung der Beuys-Räume, könne das Werk von Beuys in einem ganz neuen Licht erscheinen (F.A.Z. vom 2., 7. und 12. Dezember). Mein Zugang zu Beuys war und ist ein eher nüchterner, mitunter auch kritischer.

Als zuständiger Konservator für die Sammlung Karl Ströher am Landesmuseum in Darmstadt in den Jahren von 1966 bis Ende 1970 hatte ich cfie Gelegenheit, mitzuerleben, wie präzise und klar Joseph Beuys im ehemaligen Galeriebereich des Museums die Einrichtung seiner Werke vornahm; er tat dies übrigens in Räumen, die er selbst dafür bestimmt hatte. Dabei muß man deutlich differenzieren zwischen der von Beuys vorgenommenen Installation seiner Werke einerseits und andererseits der bis heute bestehenden Raumsituation - mit dem grauen Teppichboden, den Wandpaneelen und der einst noch hellen Wandbespannung -, die Beuys damals vorgefunden hat.

Diese spezielle Raumsituation hat sich der Künstler weder gewünscht, noch hat er sie abgelehnt. Vielmehr hat er sich in den von ihm gewählten Räumen mit deren Gegebenheiten, vor allem aber mit deren Kubatur intensiv auseinandergesetzt. Obwohl er selbst nichts zu diesen raumimmanenten Vorgaben beitragen konnte, hat er sie in seine Überlegungen einbezogen und bei der Erstellung urid Etablierung des sogenannten „Block Beuys" höchst sensibel darauf reagiert. Deshalb ist es historisch gesehen ein Unding, wenn man glaubt, man könne die von Beuys beachteten Bezugnahmen einfach negieren, indem man den Werken einen ganz anderen Bezugsrahmen verpaßt und das Ganze noch als „Akt der Befreiung" feiert.

Selbstverständlich bin auch ich mir im klaren darüber, daß nach sechundddreißig Jahren grundlegende Erneuerungen notwendig sind. Die extrem nachgedunkelten und verschlissenen Stoffbespannungen sowie der Teppichboden sind in ihrem jetzigen Zustand nicht mehr tragbar. Doch gebe ich zu bedenken, daß es sich bei dem Block Beuys um die bedeutendste und wichtigste Hinterlassenschaft des Künstlers weltweit handelt. Er hat ihn Anfang 1970 so etabliert und bis 1985, seinem letzten Lebensjahr, nur in Einzelheiten verändert und ergänzt. Ein solches Vermächtnis sollte mit größter Sorgfalt behandelt werden. Mit einem Hauruckverfahren beziehungsweise einer „sauberen Lösung" (Ina Busch), das heißt dem Austauschen des Teppichbodens durch einen Estrichboden, dem Entfernen der Stoffbespannung sowie der Wandpaneele - was eine gravierende Veränderung der Proportionen der Räume zur Folge hätte - wird die Direktion des Landesmuseums ihrer Verpflichtung und Verantwortung der Arbeit von Joseph Beuys gegenüber meines Erachtens nicht gerecht. Deshalb appelliere ich an die Verantwortlichen, jenen Zu-stand wiederherzustellen, den Beuys Anfang 1970 vorgefunden hat, den er damals akzeptiert hat und der von ihm noch 1984/85 ausdrücklich für stimmig befunden wurde. Das heißt, man sollte im Sinne der damaligen, von Beuys angenommenen Situation lediglich eine behutsame Erneuerung durch einen neuen Teppichboden und eine neue helle Wandbespannung vornehmen.

Der Block Beuys ist ein Produkt der sechziger und siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und sollte als solches in einer entsprechenden Umgebung erkennbar bleiben. Trotz oder gerade wegen seiner einschneidenden und weitreichenden künstlerischen Qualität halte ich es für problematisch, wenn ein Umfeld, auf das Beuys klarsichtig Bezug genommen hat, nach heutigen geschmacklichen Gesichtspunkten - die in wenigen Jahren längst wieder obsolet geworden sind -verändert, hergerichtet und vermeintlich publikumstauglich gemacht wird. Daß die Direktorin des Landesmuseums anläßlich einet von ihr veranstalteten Podiumsdiskussion, die sich nota bene als peinliche Alibiveranstaltung erwies, apodiktisch erklärte, ihre Nachfolge könne ja den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, zeugt von einem gewissen Maß an Zynismus.

Der Autor ist Direktor der Kunsthalle Tübingen und war von 1966 bis Ende 1970 Konservator am Hessischen Landesmuseum Darmstadt.

FAZ , 28.12.2006