Dr. Andreas Quermann 15.12.2006 email an Klaus Tesching
Die Darmstädter Installation des ?Block-Beuys? zählt zu meinem einschneidenden
Kunst-Erlebnissen. Sie trug bei mir sehr früh, noch vor dem Studium der
Kunstgeschichte und vor der Beschäftigung mit Beuys, zu einer bis heute
anhaltenden Faszination bei. Dieser Ort stößt einen ab, oder fesselt auf ewig.
Wahrscheinlich liegt dies in Darmstadt auch an der eigentümlichen
Präsentationsweise.
Beuys wählte die Gefäße für seine Objekte mit Bedacht: Er ließ seine Werke nie
in irgendwelchen Vitrinen abstellen, sondern ließ diese extra anfertigen oder
nutzte häufig und wenn möglich die im Museum vorgefundenen - so etwa auch 1977
in Münster für die temporäre Präsentation einer "Skulptur die nicht kalt wird"
(Unschlitt/Tallow). Heute ist diese schon damals altertümliche Holzvitrine im
Hamburger Bahnhof in Berlin mit dem Bronzeguss "Hörner" von Beuys selber
bestückt. Objekt und Vitrine bilden eine Einheit. Auf dem Vitrinenboden sieht
man noch Wachsspuren der vorherigen Nutzung. Nach Vorgabe dieser Holzvitrine
wurden die Messingvitrinen für "Palazzo Regale" gefertigt. Beide Male wurden
die Vitrinen selber zum unverzichtbaren Teil des jeweiligen
Werkes.
Man kann die eigentümlichen Beuys-Vitrinen also nicht einfach austauschen,
ohne die komplexen Wirkungszusammenhänge und wechselseitigen Bezüge zwischen
Objekten und dem Raum des Gesamtwerkes zu
zerstören.
Nun hat Beuys nicht nur die Museumsvitrinen mit Bedacht für seine Werke
ausgewählt und eingerichtet, sondern er hat eben auch die großen Gefäße für
seine monumentalen Werke ausgewählt bzw. wie in Darmstadt sensibel auf die
gegebenen Umstände reagiert, um sie mit Bedeutung, Wärme und geistiger Energie
aufzuladen ? die Museumsräumlichkeiten sind daher wie die originalen
Beuys-Vitrinen konservatorisch zu behandeln. Diese Räume sind ebenso wenig
austauschbar wie die Vitrinen
selber.
Eine völlig neue Wand- und Deckengestaltung aus abweichenden Materialien würde
in Darmstadt nicht nur den akustischen und haptischen Eindruck stark
verändern, sondern würde auch die Dimensionen des Raumes insgesamt merklich
verschieben ? und sei es auch nur um 5 cm durch entfernen der Wandbespannung;
dies ergäbe wahrscheinlich keine ?bessere
Proportion!?.
Am Ende würde uns als Rest nur eine beliebige Vielzahl von
auseinandergerissenen Einzelwerken erhalten bleiben, die es ja abseits solcher
Installationen durchaus auch noch gibt. Ein solches Vorgehen erinnert an die
Restaurierungspraxis vergangener Jahrhunderte: griechische Skulpturen wurden
auf weiß geputzt, die Wände romanischer Kirchen radikal abrasiert ? alles
steinsichtig im Geschmack der
Zeit.
Das Problem verdeutlichen die Translozierungen von Beuys-Werken in München und
von Mönchengladbach nach Berlin. Als Berliner bin ich zwar Nutznießer dieses
Umzugs und gehe oft in den Hamburger Bahnhof ? allerdings immer bedauernd, die
Ursprungssituation in Mönchengladbach nie kennen gelernt zu haben, denn die
Gesamtwirkung scheint verpufft zu
sein.
Einer behutsamen Renovierung der Darmstädter Beuys-Räume nach neueren
museumstechnisch begründeten Vorgaben (Klima, Licht, Brandschutz) könnte man
allerdings ggf. mit Vorsicht und unter Vorbehalt zustimmen: Eine "neue" aber
rekonstruierende Wandbespannung, die den ursprünglich wohl helleren
Raumeindruck für eine gewisse Zeit (ca. 15 Jahre) wiederherstellt, wäre
durchaus denkbar ? eine völlige Veränderung der Wände und damit auch der
Raumdimensionen bleibt jedoch sehr fraglich und müsste gut begründet werden.
Denn: was wäre, wenn hinterher der Gesamteindruck ein völlig anderer wäre,
könnte man einen solch einschneidenden Eingriff in die Substanz dann wieder
rückgängig machen? In der Denkmalpflege herrscht doch die Vorgabe, dass alte
Substanz erhalten wird, wo nur eben möglich, und dass sie auch als solche, als
alt, kenntlich gemacht
wird.
Dass man nun sogar vorschlägt, die von Beuys eigenhändig gezeichnete Linie auf
dem Teppichboden bei der "Transsibirischen Bahn" ? die Aktion ist im
gleichnamigen Film zu sehen ? selber neu ziehen zu können ist befremdlich:
Soll etwa die Künstlerpersönlichkeit Beuys entsorgt und durch Satthalter
ersetzt werden, die nun anstelle des Künstlers medienwirksam agieren, um sich
damit womöglich selber zu nobilitieren? ? Eine sehr bedenkliche Verschiebung
der
Wertigkeiten!
Natürlich ist jede Beuys-Zeichnung "nur" Graphit auf Papier ? möchte man da
sarkastisch anmerken: Das kann jeder selber machen, denn "Jeder Mensch ist ein
Künstler" ? da brauchen wir die Originalwerke gar nicht mehr; nur noch die
erweiterten Begriffe zählen! Man kann dieses Vorgehen also sogar mit
Beuysschem Denken begründen. Aber dies ist nur eine mögliche Interpretation
des Gesamtwerkes, die nicht über die Erhaltung der materiellen und räumlichen
Substanz triumphieren
sollte.
Auch auf die Gefahr hin, das Werk als Gesamtes zu einem Fetisch zu verklären,
würde ich doch lieber für eine Erhaltung der Gesamtsituation plädieren. Wenn
wir in 50 Jahren zu anderen Schlüssen kommen, ist es noch früh genug radikal
vorzugehen. Kunsthistoriker beschäftigen sich einfach zu oft, mit Kunstwerken
und Ensembles, die aus Dummheit verloren gingen oder verstümmelt wurden, weil
man sie zu dem Zeitpunkt noch nicht richtig einschätzen konnte.
Kunsthistoriker schaffen Werte, indem sie sie erkennen, hat mal einer
gesagt.
Dr. Andreas Quermann Projektmitarbeiter Stiftung Haus der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland