Ich fand diesen Artikel im Internet und spiegle ihn hier. Auf Emailnachfrage habe ich bislang keine Antwort erhalten.Es wäre schön diesen Artikel hier darstellen zu dürfen.K.T.
Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt. Kunst in der Fachdidaktik- am Beispiel des Faches Katholische Religionslehre Reinhard Hoeps, Münster,1999


Als die Düsseldorfer Galerie Schmela am 26. November 1965 eine Ausstellung mit Werken von Joseph Beuys eröffnete, mußten die Besucher draußen bleiben. Von außen war durch die Fenster zu sehen, wie Beuys, den Kopf mit Honig und Blattgold verhüllt, einen toten Hasen im Arm hielt und, mit ihm redend, von Bild zu Bild wandelte, wobei er den Hasen mit den Pfoten die Bilder berühren ließ. Bei diesem Experiment im didaktischen Grenzbereich habe ich die Uberschrift zu diesem Vortrag ausgeliehen: Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt. Das Experiment läßt sich verstehen als Konsequenz aus vorausgegangenen ähnlichen Versuchen am Menschen, die alle kläglich scheiterten: Eher begreift ein toter Hase die Bedeutung der Kunst als der sogenannte gesunde Menschenverstand. Der menschliche Betrachter zeigt sich ohne jedes Verständnis, oder - was noch weitaus schlimmer ist - er hat immer schon alles verstanden, noch bevor er überhaupt richtig hingesehen hat; im Wettlauf mit dem Hasen gefällt er sich in der Rolle des Igels.

 Wäre es deshalb nicht an der Zeit, den verständnisvollen und weltoffenen Kunstfreunden die Galerien und Museen, nicht zuletzt aber auch die Ateliers zu verbieten? Wäre es nicht an der Zeit, die Kunst von der bornierten Blindheit wie von den Lemmingen gleichen Besuchermassen und auch von den tiefschürfenden Bedeutungs-Ausgrabungen zu verschonen? Die Kunst vor der Verweigerung und vor der Verwertung durch die Rezipienten in Schutz zu nehmen. ist freilich die Sache von Joseph Beuys nicht gewesen. Leicht - vielleicht allzu leicht - ließ Beuys sich dazu bewegen, dem unverständigen Befremden mit Angeboten zur symbolisierenden Übersetzung aufzuhelfen: Honig als Signum der Lebendigkeit und der Arbeit, den Qualitäten des richtigen Denkens; der Hase, der sich ins Erdreich eingräbt, als Symbol einer anthropologisch gedeuteten Inkarnation.' Als Künstler war Joseph Beuys zu sehr Pädagoge, um seine Kunst gegenüber den Fragen, Angriffen und Banalisierungen des Publikums in Schutz zu nehmen.

 Immerhin blieben die Besucher damals aus der Galerie verbannt; die aufschließenden Erläuterungen des Künstlers waren dem toten Hasen vorbehalten: durch diese doppelte Barriere wurde der unmittelbare Zugriff der Rezeption auf die Kunstwerke verweigert. Das ist nicht zurückhaltende Bescheidenheit, sondern prinzipielle Reserve gegenüber dem bedeutungsheischenden Blick; ...

 Jede symbolisierende Deutung wird diesen Gehalt nahezu zwangsläufig verfehlen. Beuys hat das wiederholt herausgestellt, auch wenn er selbst in Vorträgen und Diskussionen den symboldidaktischen Anfechtungen nicht immer widerstanden hat. Meine Arbeit ist nicht symbolisch ... Ich habe immer die entsprechenden Formen, Größen, Materialien ausgewählt, die nach meiner Meinung den Energiezusammenhang beleuchten ...; es sind also immer die Formen selbst, die Materialien, die den Energiezusammenhang unmittelbar darstellen - als Formen und nicht als Symbole."( Joseph Beuys im Gespräch mit Erika Billeter, in: Mythos und Ritual in der Kunst der 70er Jahre, Katalog, ZÜrich 1981, S. 90. )

 Weil er energetische Zusammenhänge zur Anschauung bringen will, die sich in der Materie vollziehen, geht Beuys den umgekehrten Weg alles Symbolisierens: Die bildliche Gestalt ist nicht länger mit der Aufforderung verknüpft, sich im Interesse an der Bedeutung von ihr zu lösen; die Aufmerksamkeit ist vielmehr auf die Konkretion, die Realisierung der Idee in den Strukturen des Materiellen gerichtet.

 Im Gegensatz zu solchen interpretatorischen Konstruktionen zeichnet sich das gesamte (Oeuvre von Joseph Beuys durch ein beharrliches Insistieren auf der materiellen Substanz und durch die Ausbildung ihrer Sprachfähigkeit aus. Die Kriterien für das Gelingen der Arbeit und dann auch für ihr Verstehen liegen in der Materie. Deren Rehabilitation vor dem Forum abendländisch-intellektueller Geistigkeit betreiben die Werke. Man kann sie lesen als Arbeit an der geläufigen Dichotomie zwischen toter und ausdrucksloser Materie auf der einen Seite und lebendigem, weil bedeutungsgeladenem Geist auf der anderen. - Also eine materialistische Reminiszenz und jedenfalls ohne jeden didaktischen Belang, zumal in Fragen der Religion?

 Für die Theologie scheint mir die Vorstellung bedeutungsgeladener Materie zu den größten Herausforderungen zu gehören, denen sie gegenwärtig ausgesetzt ist. Nach Jahrhunderten eines religiösen Lebens, das der Zeit nach wie dem Raum in weiten Teilen durch die Verehrung von Reliquien und durch sie umkreisende liturgische Umständlichkeiten organisiert war, schien sich allmählich eine aufgeklärte Form christlicher Religiosität durchgesetzt zu haben, in der die atavistischen Rituale als überwundener Aberglaube abgelegt werden konnten.