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WILFRIED HEIDT

Die Umstülpung des demiurgischen Prinzips

 

Diese Veranstaltungsreihe steht unter dem Generalthema »Die unsichtbare Skulptur«. Ich verstehe sie als Aufforderung, die Linie der sozialen Ideenbildun gen, denen sich Joseph Beuys zugewandt hatte, fort zusetzen. Denn dies war, wie ich meine, seine ent scheidende Botschaft, gerade und besonders auch mit seinen beiden Beiträgen zur letzten »documenta«. der siebten, 1982: das Unternehmen »7ooo Eichen« ei nerseits und die Transformation einer Imitation der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen in die plastische Anordnung »Hase mit Sonne und Zubehör«.

1. Für die Klärung der Zusammenhänge möchte ich ausgehen von den Begriffen »Soziale Plastik«, »erweiterter Kunstbegriff« und »Jeder Mensch ist ein Künstler«. Eine Deutung habe ich bereits zitiert:

Der Satz »Jeder Iensch ist ein Künstler« bezieht sich, sagt Beuys, "auf die Umgestaltung des Sozial-Leibes", und mit dem >erweiterten Kunstbegriff< stehe ein Begriff zur Diskussion »den man die >soziale Kunst< nennen könnte«, ein Begriff, der fähig sei, »einzugreifen in die Herzproblematik unserer Gesellschaft, d.i. »in die Lage des Kapitals«, einzugreifen in die »wirtschaftskulturellen Abhängigkeiten, um diese Abhängigkeiten umzubauen in die Befreiung des Arbeitsfeldes der Gesellschaft«. Gehe man im »Durchdenken der heutigen Problematik« vom Kunstbegriff aus, dann müsse man »die Frage nach der Form stellen«. »Ganz organisch aus der ruhigen und sachbezogenen Betrachtung« ergebe sich »der Gestaltungsbegriff« als die Möglichkeit, die ergriffen werden müsse, »um den sozialen Organismus aus seiner kranken Gestalt in eine gesunde zu überführen«.

Hier schließt - sozusagen als begriffliche Brücke zwischen dem anthropologischen Pol des erweiterten Kunstbegriffs (»Jeder Mensch ist ein Künstler«) und dessen soziologischem Pol (»die Frage nach der gesunden Gestalt des sozialen Organismus«) - die an dere These an, die Beuys aufgestellt hat: »Kunst =Kapital«; das heißt »den Menschen als einen Gestalter darzustellen, der die Strukturen der Wirkungen des Kapitals in der Gesellschaft umbaut in eine Form, die dem Menschen gedeihlich ist«.

- Der »erweiterte Kunstbegriff« meint die »soziale Kunst«, d.h. die unter Einschluß eines jeden Menschen auf die menschengemäße Gestaltung des sozialen Organismus bzw. auf die Umgestaltung der vor gegebenen Systeme gerichtete Aktivität.

- »Soziale Kunst« ist also die Aktionskunst, die jeden Menschen in bezug auf seine Verantwortung für das soziale Ganze »in die Pflicht ruft«. Es geht darum, einen Weg zu finden, Kapitalismus und Kommunis mus zu überwinden und die »Freiheitsgestalt des sozialen Organismus«zu verwirklichen.

Dabei legte Beuys großen Wert darauf, »die soziale Kunst als etwas hinzustellen, das Nüchternheit er fordert, das Klarheit erfordert, das systematische Schritte notwendig macht, das aber auch vor allen Dingen notwendig macht, daß wir die Dinge in bezug auf Gemeinschaftenformen müssen; denn als soziale Künstler sind wir zunächst die Erbauer assoziativer, gesamtgesellschaftlicher Einheiten«.

2. Assoziative, gesamtgesellschaftliche Einheiten: das führt uns wieder hin zu dem Begriff des »Strategie plans«, in dem Sinne, daß unter diesen »Einheiten« solche zu verstehen sind, die, wenn auch erst »Modelle «, gleichwohl in ihrer Veranlagung einen gesamtgesellschaftlichen Prozeß, ein Funktionsgeschehen im sozialen Organismus postulieren bzw. so weit als möglich schon konkret einleiten. So hat Beuys ab I970 drei solche Veranlagungen kreiert, die die Grundelemente des aus der Objektivität der Umgestaltungsaufgabe, also aus systematischen Gründen notwendi gen, strategischen Vorgehens bilden.

a. In der zeitlichen Reihenfolge betritt Beuys das Wir kungsfeld der sozialen Kunst zuerst mit der » Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung«. Mit diesem Element ist die Kernproblematik für die Funktion des Rechtslebens im sozialen Organismus strategisch ins Visier genommen. Es geht darum, ein Organ zu schaffen, durch welches die Gesamtbürgerschaft als entscheidende Instanz für die Rechtsgestaltungen handelnd in Erscheinung treten kann.

Das Gesetzgebungsmonopol des parteienstaat lichen Parlamentarismus soll gebrochen, Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Volkes und verbindliche Abstimmungen darüber sollen ermöglicht werden. Die » Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung« eröffnet I97I in Düsseldorf ein ständig besetztes Büro. I972 stellt Beuys dieses Büro als seinen Beitrag in die » documenta 5 « hinein und diskutiert 100 Tage alle mit diesem Projekt zusammen hängenden gesellschaftlichen Gestaltungsfragen.

Um aus dieser Veranlagung in die »gesamtgesellschaftliche Einheit« vorzudringen, ist die Zeit I972 noch nicht reif. Diese Linie tritt für ein volles Jahr zehnt in den Hintergrund, ist wie untergetaucht.

b. Veranlagt wird jetzt - in der Sphäre des Geisteslebens- als zweites strategisches Grundelement die »Free International University « . Und Beuys stellt jetzt folgerichtig diese Veranlagung eines selbstbestimmten Forschungsprojekts im Sinn einer »permanenten Konferenz« mit seinem Beitrag »Honigpumpe am Arbeitsplatz« hinein in die »documenta 6«.

Hundert Tage tritt nun nicht mehr wie noch fünf Jahre zuvor Beuys allein auf das Wirkungs feld der sozialen Kunst im Dialog mit der Gesellschaft (d.h. mit den Besuchern der Ausstellung), sondern eine große Zahl von Einzelprojekten aus dem Bereich der Grundlagenforschung wie applizierter Wissenschaft demonstriert eine Fülle von Transformations notwendigkeiten, -möglichkeiten und bereits statt findender Praxis - Beispiele dafür, wie nun in den speziellen gesellschaftlichen Funktionsprozessen und -aufgaben die »Grundidee der Umgestaltung des so zialen Organismus in seine Freiheitsgestalt zur Wirkung kommen könnte«.

Mit dieser Veranlagung ist paradigmatisch aufgezeigt, daß, wie die direkte Demokratie im Rechtsleben re gelnd, so die Selbstbestimmung und Autonomie im Geistesleben des sozialen Organismus inspirierend zu wirken hat, wenn der soziale Kunstbegriff zur An wendung kommt.

c. Und wiederum folgerichtig schließt daran fünf Jahre später als Beitrag für die »documenta 7« der dritte systematische Schritt in der Ausformung der Grundelemente der Strategie der sozialen Transformation dasjenige an, was mit dem Projekt »7000 Eichen« nicht nur einen »symbolischen Beginn« setzt für das »Unternehmen, das Leben der Menschheit zu regenerieren innerhalb des Körpers der menschlichen Gemeinschaft«, sondern gleichzeitig in urbildhafter Form im Wirtschaftsleben dessen gemeinnützigen Zukunftscharakter - als »Solidaritätsfeld«, als »Feld der brüderlichen Zusammenarbeit« für den »Bedarf des Menschen wie für den Bedarf der Natur« exemplarisch veranlagt. Veranlagt einen gewandelten Geldbegriff, der die Befreiung der Arbeit zum Dienst am Ganzen bedingt; veranlagt den gewandelten Kapitalbegriff, der die Emanzipation des Geldes aus seiner Verstrickung mit dem Privateigentum einerseits und dem staatszentralistischen Dirigismus andererseits bewirkt; veranlagt schließlich eine Gestaltung des Einkommens der Menschen aus Menschenrecht und nicht mehr aus einem Lohnverhältnis und unter der Peitsche des Profitprinzips.

3. Damit ist im Elementaren die Begriffsbestimmung von dem »konkreten Wirkungsfelde der sozialen Kunst« unternommen. Darum - in aller »Nüchtern heit und Klarheit« - ging es Beuys, und darum geht es all denen, die seine Mitarbeiter waren und sind. Ich fasse ein erstes Ergebnis zusammen:

1. Der erweiterte Kunstbegriff richtet sich auf die Umgestaltung des Sozialkörpers in der Richtung ei ner Alternative zum westlichen Kapitalismus und östlichen Kommunismus. Das ist der Kern der Sache.

2. Beuys hat seinen »Strategieplan« bis I982 - in Übereinstimmung mit anderen, die im selben Aufga benzusammenhang wie er wirkten - in drei systemati schen Schritten entwickelt:

a) für die Transformation des Parteienstaates hinüber zum reinen Rechtsstaat die Veranlagung des Impulses der direkten Demokra tie durch Volksabstimmung;

b) für die Transforma tion des staats- und geldmachtabhängigen For schungs- und Informationswesens hinüber zum selbstbestimmt, autonom und selbstverantwortlich arbeitenden sozialen Inspirationssystem, die Veranla gung der FIU mit ihren verschiedenen Zweigen, und

c) für die Transformation d er profit- oder staatsbüro kratisch geleiteten Ökonomie mit dem gemeinnützi gen Unternehmen »7000 Eichen« für Kassel die Ver anlagung eines ökologisch orientierten, selbstverwal teten Sozialismus im Sinn einer reinen Bedarfswirtschaft.

Es mögen in dem von Beuys akzentuierten » erweiter ten Kunstbegriff« noch manch andere Aspekte eine Rolle spielen: Im Wesen der Sache geht es um das hiermit einleitend Dargestellte. Soziale Kunst meint die Aufgabe - ich zitiere nochmals aus dem Interview, mit dem der Band »7000 Eichen« eingeleitet ist- »der Metamorphose des sozialen Körpers in sich selbst, um ihn zu einer neuen sozialen Ordnung für die Zukunft .

FIU Kassel 1989