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Bildung oder Standards?


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Schon eine erste Prüfung macht deutlich, dass nicht wenige der jetzt beschlossenen Maßnahmen aus eben jenen Denkformen herausgeschossen sind, welche die Bildungsmisere erst herbeigeführt haben. So nimmt es auch nicht Wunder dass ausgerechnet der Ruf nach mehr Kontrolle und nach mehr Zentralisierung zu einem parteiübergreifenden Konsens bei den Kuitusministerlnnen aller Bundesländer führte. "Nationale Biidungsstandards" sind die Parole der Stunde: "Mit Hilfe von Wissenschaftlern", so die Kultusministerkonferenz am 2.11.2002, sollen für die verschiedenen Schulstufen und Schulabschlüsse bundesweit geltende Standards entwickelt und vom Herbst 2004 an unter Verwendung zentraler Aufgabenpools evaluiert werden.

 Erinnern Sie sich noch? Vor gerade einmal zwei Jahren wurde mit derselben Heilserwartung der "Laptop für alle" propagiert. Heute sind es also Standards, die typisch deutsche Abwandlung jener "minimal Standards", auf die man sich während der 70er Jahre in Amerika verständigte. Wie in den USA werden diese Erlasse und Verordnungen unserer regelungsfreudigen Kultusbürokraten zu nichts führen.Ich frage mich, was die Mindeststandarts mit der Erneuerung der Lernkulturzu tun haben sollen?

 Die PiSA-Studie hat ja nicht etwa belegt, dass Deutschland an einem Zuwenig an Selektion oder an einem vernachlässigten Prüfungswesen leidet. Ganz im Gegenteil: Ausgerechnet das Land, weiches eine Selektion betreibt, die in Europa ihresgleichen sucht, welches auch in seiner seit mehr als 200 Jahren ungebrochenen Staatsschultradition von jeher alle Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer als potenzielle Drückeberger vor den hoheitlich verordneten Lehrplänen angesehen und entsprechend behandelt hat, ausgerechnet dieses Land also muss jetzt erkennen, dass es mit seiner Devise "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" gescheitert ist. Das von ungezählten Schreibtischpädagogen ausgeklügelte, prüfungsfixierte Schulsystem erweist sich als nicht konkurrenzfähig, also kurz: als Flop.

 

Lernen findet offensichtlich anderswo statt. Doch unverdrossen propagieren unsere Bildungspolitikerinnen von Annette Schavan bis Edelgard Buimahn einen durch Standards geheiligten Zentralismus als Lösung der deutschen Bildungsfrage.

Die Freiheiten, welche den einzelnen Schulen künftig angeblich eingeräumt werden sollen ( "Selbstständige Schule"), erweisen sich vor diesem Hintergrund als Scheinautonomie, weil es dabei keineswegs um pädagogisches Leben, sondern einzig um die Effizienz geht, mit der die zentralen Vorgaben erreicht werden können.

 Übrigens: Nichts gegen Standards! Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass die Zapfhähne alier Tankstellen in den Tank meines Autos passen und dass mein Kreuzschlüssel die Spax-Schrauben aller Hersteller zu drehen vermag. Ich vermute aber dass wissenshungrige, einsatzfreudige Schüler nicht nach Industrienorm zu produzieren sind. Pädagogik setzt mehr als alles andere Vertrauen voraus: Vertrauen in das einzelne Kind, Vertrauen in die Lehrerinnen und Lehrer und Vertrauen in die Fähigkeit von Menschen, sich für die Welt zu interessieren. In bildungspoiitische Strukturen übersetzt heißt Vertrauen Freiheit, und zwar sowohl der Eltern über die freie Wahl ihrer Schule als auch der Schulen selbst in der Entwicklung und Umsetzung ihrer pädagogischen Konzepte.

 

Gerade der Bück auf die skandinavischen Länder, die heute so gerne zitiert werden, zeigt, dass dort eine ungleich höhere Freiheit herrscht ais in Deutschland. Es ist a!so nicht ein Mehr an Vorgaben. sondern ein Mehr an Eigenverantwortung, was zu den guten Ergebnissen bei P!SA geführt hat.

 Auf der Basis pädagogischer Freiheit ließe sich sogar produktiv über Minimal-Standards nachdenken -dann aber als Konsens der beteiligten Schulen und der Menschen, die als Pädagogen tatsächlich die Verantwortung schultern. Der Hauptadressat von PISA hat noch gar nicht gemerkt, dass er gemeint ist: Es ist das ganze System einer hoheitlich verwalteten Schul- und Bildungspolitik, die zwar viel von Eigenständigkeit redet, die aber systematisch die Eltern, Schüler und Lehrer daran hindert, dem Schulwesen eben jenes Leben einzuhauchen, das wieder eine Kultur des Lernens schafft.

 

siehe: http://www.freie-schule.de/cgi-bin/ppp.pl?function=detail&tabelle=tabelle05&ds=2|admin