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Über die Bürgerinitiative

Ein Dorf wird aktiv

Im Südwesten Münsters gibt es ein Dorf (seit 1972 zu Münster gehörig), das es nicht als ehrenvoll empfindet, zur Spielwiese münsteraner Provinzpolitiker erklärt zu werden. Dieses Dorf heißt Amelsbüren. Seit 9 Jahren arbeitet hier die Bürgerinitiative gegen den Industriestandort Amelsbüren. Es war im Frühjahr 1993. Die münsteraner Verwaltung, damals noch von der CDU beherrscht, beschloß im Naherholungsgebiet Grafschaft im Südwesten von Münster eine riesiges Industriegebiet (350 ha) zu bauen, nebst Garnierung durch einen dritten münsteraner Autobahnanschluß an die A1. Da die Fläche derzeit die Lebensgrundlage einiger örtlicher Bauernhöfe darstellt, rief dieser Plan naturgemäß helle Empörung bei den Betroffenen hervor. Der Widerstand der Bauern wurde von der Stadtbürokratie wohl vorhergesehen, so wollte man die Planung zum damaligen Zeitpunkt mittels der sogenannten Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) durchsetzen, die unter anderem die schnelle Enteignung der bisherigen Flächenbesitzer ermöglicht. Der Protest der Bauern wurde schnell zu einer Protestbewegung, die das ganze Dorf Amelsbüren erfasste. Innerhalb weniger Tage wurden mehr als 3000 Unterschriften gesammelt. Auf mehreren Versammlungen mußten sich die städtischen Politiker dem geballten Volkszorn stellen, sogar ein Demonstrationszug vor das münsteraner Rathaus wurde organisiert. Nach der Kommunalwahl 1994 (die CDU verlor im Gebiet Amelsbüren bis zu 1/3 ihrer Wähler) war das Mittel der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme plötzlich vom Tisch. Leider war damit, entgegen dem Empfinden der meisten Amelsbürener, aber das Industriegebiet noch nicht beerdigt, sondern nur auf die lange Bank geschoben. Die SPD hatte in der Kommunalwahl 1994 nicht nur die Macht von der CDU geerbt, sie entwickelt sich in den Folgejahren auch zum Vortreiber dieses Projektes, still geduldet von den Grünen, die sich neuerdings weigern, eindeutig gegen das Industriegebiet Stellung zu beziehen. Im Herbst 1997 nun wurde auf Nachfragen der Bürgerinitiative bei der Stadtverwaltung folgender Zeitplan benannt, der das eigentlich schon totgeglaubte Projekt wie Phoenix aus der Asche neu entstehen ließ. Anfang 1997 vorgezogene Bürgerbeteiligung zum Flächennutzungsplan 2010. Einer der Hauptinhalte; das in Amelsbüren geplante Industriegebiet. Diese Bürgerbeteiligung ging im März an den Bürgern ohne große Beteiligung vorbei. Ende 1997 Abstimmung des Flächennutzungsplan 2010 zwischen Stadtverwaltung und Rat Anfang 1998 Offenlegung des Flächennutzungsplans Ende 1999 Flächennutzungsplan wird rechtswirksam ab 2000 Vorbereitung des Bebauungsplans für das Industriegebiet Amelsbüren danach die Bagger können anrollen Die Gründe, die aus Sicht der Stadtpolitiker für eine Industriezone in Amelsbüren sprechen, sind schnell aufgeführt:

  1. Münster hat zu wenig ausgewiesene Industrieflächen, der Bedarf kann nicht gedeckt werden. (Anmerkung: Auch auf hartnäckiges Nachfragen äußerte sich bisher kein Politiker konkret zu Art und Anzahl der angeblichen Industriebetriebe, die sich vor den Stadttoren in der Hoffnung auf Flächenzuweisung drängeln. Meist wird der Datenschutz als Begründung des Stillschweigens bemüht. Unsere Vermutung ist aber, das es derzeit gar keinen Bedarf an Industrieflächen in Münster gibt, sondern dieser erst durch die Zurverfügungstellung von Fläche geweckt werden soll)
  2. Die Arbeitslosenquote muß gesenkt werden, dazu ist eine aktive Unterstützung der Industrie durch die Politik notwendig. (Anmerkung: Wenn die Arbeitslosigkeit durch Ausweisung von Industriefläche gesenkt werden könnte, hätten wir keine Arbeitslosen mehr. Oder wie soll man sich die riesigen leerstehenden Areale in den Ländern der ehemaligen DDR erklären?)
  3. Münster bekommt durch mehr Industrie auch mehr Steuern ins Stadtsäckel und kann sich so mehr leisten. (Anmerkung: Dieser Grund wird natürlich in der Öffentlichkeit nicht geäußert. Nichtsdestotrotz ist es der einzig ernstzunehmende. Nur hat es wenig mit Allgemeinwohl zu tun, wenn sich unsere Politiker mehr Geld für ihre Prestigeprojekte wünschen)

Über die Gründe, die aus Sicht der Amelsbürener gegen eine verindustrialisierung des Dorfes sprechen, muß man sich schon tiefergehende Gedanken machen.

Zu nennen wären:

  • Die in Amelsbüren lebenden Menschen möchten gerne in einer intakten dörflichen Umgebung leben. Zu dieser Umgebung gehören auch intakte bäuerliche Betriebe, die auf ihre Ackerflächen angewiesen sind.
  • Wir befürchten ein starkes Anwachsen des Verkehrs im Ort, der unsere Kinder daran hindern wird, den Ort als Lebensraum zu empfinden. Wir benötigen keinen eigenen Autobahnanschluß.
  • Schon jetzt haben wir kaum noch Areale, die der Natur zur ungestörten Entwicklung überlassen sind. Machen wir so weiter, werden wir uns der Frage stellen müssen, ob wir auch ohne natürliche Umgebung auskommen können. Auf keinen Fall sollten aber weitere, bisher naturnah genutzte oder natürliche Flächen einer kleinkarierten Kirchturmspolitik geopfert werden.
  • Die Deutschen beklagen in ihrer Presse den Raubbau an der Natur durch Abholzung des Regenwaldes. In Ermangelung von Regenwäldern (Nordrhein-Westfalen war mal von dichten Buchenwäldern bedeckt) sollten wir die Betonierung von Grünflächen als Vergleichsmaßstab heranziehen, um entscheiden zu können, wer der Natur mehr schadet, das Ausland oder wir.
  • Es ist uns einfach lieber, durch das Naherholungsgebiet Grafschaft ins Stadtgebiet zu radeln, als an rauchenden Industrieschloten vorbei.

Ein schönes Argument gegen das Projekt lieferte uns die Stadtverwaltung selber. Die Stadt Münster ließ im Jahre 1992 (damals war Umweltschutz noch populär) ein sog. "klimarelevantes Planungskonzept" für das Stadtgebiet erstellen. Ziel sollte es sein, die städtischen Planer in die Lage zu versetzen wichtige Erkenntnisse des Umweltschutzes - hier speziell hinsichtlich des innerstädtischen Klimas - in ihre tägliche Planungsarbeit einfließen zu lassen. In dem erstellten Konzept, im Auftrag des Umweltamtes durchgeführt durch das Institut für Geographie der Westf. Wilhelms-Universität, wurden unter anderem die Hauptwindrichtungen und die für das innerstädtische Klima wichtigen Frischluftschneisen erforscht. Eine der Hauptfrischluftschneisen überzieht nun, wie es der Zufall will, genau das Gebiet, in dem die Stadt Münster ihre ‚Industriezone Amelsbüren' errichten will.

Zu diesem Thema heißt es in dem Gutachten: "Die über diesen Korridor dem Innenstadtbereich zufließende Frischluft muß zum Teil Amelsbüren überstreichen. ... Als Sicherungsmaßnahme für die nachhaltige Effektivität dieses Belüftungskorridors scheint es aber erforderlich, eine Ausweitung der Bebauungsfläche nach Norden und Westen zu unterbinden." Im "Entwurf zum Flächennutzungsplan 2010" hat die Bürokratie das Problem geschickt gelöst, indem man einfach die Frischluftschneise nach Norden verlagerte. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Die Bürgerinitiative Amelsbüren wird solange aktiv bleiben, bis das Projekt "Industriezone Amelsbüren" vom Tisch ist.

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