Vom Dichter Johann Wolfgang von Goethe soll der Ausspruch stammen: „Sammler sind glückliche Menschen.“ In der philatelie lese ich oft: „Unser Hobby ist das Schönste der Welt.“ Unser Präsident beschreibt die Bandbreite der persönlichen Empfindungen des Sammelns unter anderem mit „Spaß“, „Zufriedenheit“, „Glücksgefühl“ und „Sehnsucht“.
Im Volksmund heißt es: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Und: „Glück kann man sich nicht kaufen.“ Glück im Unglück soll es des Weiteren geben, und unbezahlbar soll es außerdem sein. Ich finde, das Gefühl des Glücks kann man mit noch so vielen Worten beschreiben, trotzdem wird es sich niemals richtig erfassen lassen. Glück kann einem ganz oft begegnen oder sehr selten. Es stellt sich plötzlich und völlig überraschend wie aus dem Nichts ein. Glück lässt sich nicht festhalten und verschwindet schneller als es gekommen ist. Jeder sammelt anders Man erlebt es überall, in der Familie oder im Beruf, im Urlaub oder in unserem Hobby, dem Sammeln. Das Gefühl Glück kann sich einerseits durch ein lautes Jubeln oder nur durch ein kurzes Lächeln äußern. Auch durch eine den ganzen Körper ergreifende Ruhe beim Betrachten der Schätze in der eigenen Sammlung zeigt sich Glück. Wenn ich diese Schätze anderen zeige oder in einem lebendigen Gespräch nach Herzenslust fachsimpele, lässt mich dies meine Seele wieder ganz anders fühlen. Da jeder Mensch anders fühlt, erlebt auch jeder Glück unterschiedlich. Glück lässt sich nicht verallgemeinernd darstellen. Es ist höchst persönlich und bei jedem einzigartig. Deshalb sollte jeder so sammeln, dass er sich wohlfühlt. Jeder weiß doch selbst am besten, was ihm gut tut. So schmiedet jeder sein eigenes Sammlerglück. Wer möchte, kann es „Zufriedenheit“ oder „Spaß“, vielleicht „pure Freude“ nennen. Andererseits hat niemand das Glück für sich allein gepachtet. Mich persönlich ziehen meine Sammlungen Tag für Tag wie ein Magnet an. Die Briefmarken erfreuen mich mit ihren Farben und Motiven bei jedem Anblick, genauso die Belege mit ihren ausdrucksstarken Stempeln und ihrem vor Schönheit strahlenden Gesicht. Bei meinen zeitgeschicht-lichen Belegen wandern die Gedanken in die Vergangenheit: „Wie mag es wohl damals gewesen sein“, frage ich mich. Dabei entspanne ich mich so sehr, dass ich mich in einer tiefen Ruhe ohne die Sorgen des Alltags wiederfinde. Immer wieder kommen jedoch Fragen auf. Vorbei ist es mit der Ruhe. Sie rufen laut nach einer Antwort. „Der Grallert“ muss her, und mit der Stich-wortangabe steige ich in die Spezialliteratur ein. Des Rätsels Lösung lässt mein Sammlerherz manchmal jubeln. Vernachlässigte und ver-meintlich bedeutungslose Stücke, die ich liebevoll „meine kleinen grauen Mäuse“ nenne, entpuppen sich als kleine oder große Schätze. Das Wissen wächst: So schnell jubelt mir keiner mehr ein Machwerk unter. Wenn ich mein Wissen bei einem Vortrag zudem weitergeben kann, vielleicht sogar Fragen beantworte, nenne ich dies „Freude pur“. Anderseits tun die vielen unerfüllten Wünsche und die verpassten Gele-
Postkarte zum Löwenunfall im Circus Barum.
Ist dagegen die Freude, die der Beleg dem Sammler schenkt, gar nichts wert? Sie bereitet mir ein zeitgeschichtlicher Beleg für 20 Euro viele Jahre, falls ich ihn nicht wieder verkaufe, sogar mein ganzes Leben lang. Die Freude gehört für mich wie das Leiden zum Sammlerglück und ist wertvoller als das Materielle.
Da liegen die Stecktafeln mit klassischen Briefmarken: Altitali-en, große Hermesköpfe von Grie-chenland, die Victoriaausgaben aus Großbritannien, eine schöner gestempelt als die andere. Der Händler muss wohl meine Be-geisterung mitbekommen haben. Es beginnt ein lebendiger Erfah-rungsaustausch über die Schwie-rigkeit, sauber bedarfsgestem-pelte Marken zu finden. „Wollen Sie mal meine private Stempelsammlung sehen“, höre ich den Händler fragen. „Gerne“, antworte ich und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus: Seite für Seite saubere, nicht zu heftig abgeschlagene, jedoch gut les-bare Stempel. Von den Steckkar-ten wandern einige Victoriamar-ken in meine Sammlung.
Exemplare der britischen Victoriaausgaben.
Daneben steht die 1-Euro-Kiste: Plötzlich halte ich einen Ersttagsbrief über das Camp-David-Abkommen in der Hand. „Nicht schlecht so ein toller zeitgeschichtlicher Beleg, den findet man nicht alle Tage“, rutscht es mir recht laut heraus.
Jetzt bin ich an der Reihe. Ich finde toll, dass sich jemand für mich interessiert: „Da sich die Geschichte oft wiederholt, sammle ich zeitgeschichtliche Belege, mit denen sich ein Bezug zur Gegenwart herstellen lässt.“ Ein Beleg etwa, auf dem „peace No more war“ steht, zeigt, dass Frieden, wenn ihn die Politiker wollen, jederzeit möglich ist. Junge Menschen erreichen Mir ist eine Idee gekommen: Ich fahre noch heute mit Jugendlichen in Ferienfreizeiten. Viele machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Für mich ist es selbstverständlich geworden, mit zu ihren Veranstaltungen zu gehen, hauptsächlich Fridays for Future-Kundgebungen. Zuletzt bin ich am 8. März, dem Weltfrauentag mit einer Demo durch die Großstadt gezogen. Bei Fridays for Future-Veranstaltungen werde ich in Zukunft Briefmarken und Belege zum Klimawandel mitnehmen, etwa die Sondermarke „Rettet den tropischen Regenwald“ (MiNr. 1615). Wenn es um Frauenrechte geht, soll die Sondermarke zu 100 Jahren Frauenwahlrecht (MiNr. 3435) nicht fehlen. 2025 werde ich zum ersten Mal an einem Ostermarsch der Friedensbewegung teilnehmen, die unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ für Käthe Kollwitz erschienene Sondermarke (MiNr. 3100) im Gepäck. Im passenden Moment möchte ich die Marken zeigen und fragen: „Sollten wir nicht auch damit versuchen, für unsere Ziele zu demonstrieren?“ „Damit könnte man doch Einladungen verschicken, oder?“ Da junge Menschen in meiner Erfahrung offener für Neues sind als Erwachsene, bin ich überzeugt, dass sie sich Gedanken machen werden. So wäre ein Anfang gemacht, Interesse für die Philatelie zu wecken. Für mich als positiv denkendem Menschen ist das Glas halb voll. Für die, die es als halb leer wahrnehmen, möchte ich eine Begebenheit aus einer Ferienfreizeit Anfang der 1980er-Jahre an der italienischen Adria schildern. Ich wollte den Jugendlichen zeigen, dass man im Urlaub auch Spaß haben kann, ohne jeden Abend in der Disco zu verbringen. Dazu plante ich, Spiele aus meiner Kindheit zu organisieren. „Blinde Kuh“ war für mich damals der absolute Renner gewesen. „Du machst dich nur lächerlich, dich nimmt danach keiner mehr ernst“, hieß es im Betreuerteam. Meine Antwort: „Dann seid ihr ab jetzt für den Ernst zuständig.“
Gesagt getan: Diverse Teilneh-mer hielten sich an vielen Aben-den den Bauch vor lauter Lachen. In der letzten Nacht kam ich ge-gen zwei Uhr morgens auf mein Zimmer. Was für ein tolles Dan-keschön sah ich: Es standen nur noch der Schrank und der nackte Bettrahmen da, und auf dem Spiegel las ich mit rotem Lippen-stift geschrieben: „Das kommt davon, wenn man mit uns ,Blinde Kuh‘ spielt! Es war schön mit dir.“ Trotz einer qualvollen Nacht und 26 Stunden Rückfahrt auf einem immer härter werdenden Bussitz gab es eine herzliche Verab-schiedung. In diesem Augenblick wären für mich selbst unbefüllte Gläser randvoll gewesen. Seit-dem heißt es für mich nur noch: „Wenn etwas schief läuft, ist das nicht schlimm. Es nicht versucht zu haben, das ist schlimm.“ Ich kann mir gut vorstellen, junge Menschen mit zeitge-schichtlicher Philatelie für das Sammeln begeistern zu können. Wer glaubt, der Grund läge in den immer weniger Briefen mit Briefmarken, der muss sich selbstkritisch fragen, ob er es sich nicht zu einfach macht. Wer ein ernsthaftes Interesse hat, zu erfahren, wo meiner Meinung nach der Schuh drückt, wird für mich ein willkommener Gesprächspartner sein.
Andreas Neugebauer E-Mail: a.neugebauer888@t-online.de Anschrift: Pater Philotheus-Str. 35, 33165 Lichtenau Die Bild- und Textdateien zu diesem Beitrag stellte uns freundlicherweise die Redaktion der Zeitschrift PHILATELIE – Das Magzin des Bundes Deutscher Philatelisten zur Verfügung. Den Zeitungsbericht des Reporters der Grevener Zeitung können Sie HIER lesen.