Der Tag des schrecklichsten Attentats, das die Welt je erlebte, der 11. September, ist gleichzeitig der von den Vereinten Nationen eingeführte "Internationale Tag des Friedens". An diesem Tag sollte die UNO-Generalversammlung in New York eröffnet werden. Am Vorabend gab UN-Generalsekretär Kofi Annan aus diesem Anlass eine Erklärung ab, in der es u.a. hieß: "Am Internationalen Tag des Friedens versuchen wir uns eine Welt vorzustellen, die sich von der Welt, wie wir sie kennen, ziemlich unterscheidet. Wir stellen uns vor, dass die Kriegführenden ihre Waffen niederlegen und ihre Meinungsverschiedenheiten in Aussprachen beilegen. Wir stellen uns vor, dass alle Regierungen auf den Willen ihrer Bevölkerungen hören - und entsprechend handeln. Wir stellen uns vor, dass die eigentlichen Konfliktursachen - Armut, Marginalisierung und Gier - der Entwicklung und der Gerechtigkeit weichen."
Leider trifft nur der erste Satz aus der Erklärung Kofi Annans heute noch zu: Nach den entsetzlichen Anschlägen in New York und Washington, denen Tausende von Menschen zum Opfer gefallen sind, unterscheidet sich die Welt fundamental von der, die wir bisher gekannt haben. So sehr wir die grausamen Terrorakte verurteilen, so sehr wir um die vielen unschuldigen Opfer trauern und mit ihren Angehörigen mitfühlen, so sehr wir uns sehnlich wünschen, dass die Verantwortlichen dieser Wahnsinnstaten zur Rechenschaft gezogen werden, so sehr warnen wir aber auch vor voreiligen Verurteilungen und vor unangemessenen Reaktionen.
Gegen Terrorismus und wahnsinnsgeleitete Aktionen blinder Gewalt gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Eine Politik, die den Terrorismus wirksam bekämpfen und eindämmen will, muss ihm den sozialen, politischen und ideologischen Nährboden entziehen, in dem er gedeiht. Ein Klima des Hasses und der Intoleranz und eine Politik, die Gewalt mit Gegengewalt und Gegengewalt mit neuer Gewalt beantwortet, bereitet auch den Boden für Terrorakte, deren Grausamkeit sich jeder menschlichen Vorstellungkraft entziehen.
Wann endlich wird begriffen, dass Sicherheit heute nicht mehr durch noch so "perfekte" militärische Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet werden kann? Nichts offenbart dies deutlicher als die Schutzlosigkeit der Großmacht USA gegenüber den grauenhaften terroristischen Anschlägen.
Wann endlich begreifen die Politiker, die jetzt wieder nach mehr Rüstungsausgaben, Waffen und Militär verlangen, dass Sicherheit erst dann gegeben ist, wenn die Sicherheit des Anderen gewährleistet ist? Dass Sicherheit heute nicht mehr nur militärisch, sondern vor allem sozial, kulturell, ökonomisch und politisch begriffen werden muss? Dass Sicherheit letztlich eine Frage der Gerechtigkeit ist?
Die Friedensbewegung plädiert aus all diesen Gründen für besonnene Reaktionen der Politik. Dem Terrorismus durch zivile Maßnahmen und durch die Stärkung des Rechts und der Gerechtigkeit den Boden entziehen ist langfristig das bessere Mittel als der Gedanke an Rache und militärische Vergeltung.
F.d. Bundesausschuss Friedensratschlag
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)