Eva Leitolf Home Town - Model Home |
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Einführungstext zur Ausstellung von Jürgen Lemke Komplett eingerichtete Modellhäuser in der Nähe von Los Angeles bilden den Ausgangspunkt für die ortsbezogene Installation von Eva Leitolf: Videofahrten entlang nicht endender Straßenzüge, detektivisches Stöbern in Wohnungen, Fotos seltsam komponierter Interieurs, Karten von Hausgrundrissen und Straßenzügen. Die Künstlerin begibt sich auf die Suche. Sie analysiert, kartographiert und dokumentiert ihre Ergebnisse. Gibt es Spuren von Individualität, von Leben, in den Standards einer modellierten Wirklichkeit? Gibt es unterliegende Planungssysteme, verborgene Merkmale, die sich gruppieren, einander zuordnen lassen und sich damit selbst entlarven? Die in drei Containern installierte Ausstellung konterkariert laufende Bauplanungen und die Errichtung neuer Wohneinheiten auf dem Gelände der Lincoln Kaserne in Münster mit der Wirklichkeit des amerikanischen Modells. Durch ihre subjektive Kamera nimmt uns die Künstlerin mit auf eine schwindelerregende Suche durch Räume, Schubladen und Schränke. Wie eine Einbrecherin durchstöbert sie die Requisiten. Überall begegnen uns Klischees bürgerlichen Wohnens. Umfangreiche Stofftiersammlungen suggerieren: Hier bist Du sicher und geborgen. Fotos von vergangenem Familienglück garantieren: Wir sind glücklich. Alles ist in Ordnung. Die Modell-Wohnung erscheint wie eine sichere Burg gegen ein drohendes Chaos von außen. Doch der Schein trügt.
Unbehagen taucht auf in dieser unwirklichen Atmosphäre, angesichts einsamer Platzhalter in ansonsten leeren Schubladen und Schränken. Die im Video sichtbare Leere des Modells erzeugt Analogien zu empfundener Leere in manchen wirklichen Wohnungen. Gibt es Lebensspuren in einem sauberen bürgerlichen Haushalt? Alles soll doch möglichst ungebraucht, wie neu aussehen. Jeder Staubfussel wird entfernt, jeder Schmutzfleck mit dem entsprechenden Tipp aus der Werbung beseitigt. Schmutzprävention ist erste Bürgerpflicht. Schonbezüge wappnen gegen das Leben! Sind Musterhäuser und ihre Verlängerung in die Filmkulisse der Serien nicht das eigentliche Vorbild für das wirkliche Leben? Ist das Modell nicht längst wirklicher als die Wirklichkeit?
Die Suche Eva Leitolfs nach authentischen Lebensspuren in den von findigen Interieurplanern zusammengestellten Innen-Einrichtungen erscheint aussichtslos. Das Überprüfen von echt und falsch im Video ist wie eine Parabel zur gesellschaftlichen Realität. Perfekte Oberflächengestaltung trügt über leere Inhaltsversprechen hinweg. Was ist wirklich so wie es erscheint? Perfekt Gestyltes im Modell entlarvt sich als Platzhalter für Leere. Einsamkeit hängt auf dem Bügel im Schrank. Das Einzelstück wird herausgehoben und isoliert quasi zum Symbol für Vielheit: ein Hemd steht für alle Hemden. Erst im Modell wird durch die Vereinzelung des Schaustücks, als Synonym für andere ähnliche Teile Individualität sichtbar. In den Fotos werden diese Besonderheiten der Vereinzelung herausgestellt. Durch ihre Gruppierung auf Grundlage angenommener Ähnlichkeiten, entstehen quasi familiäre Strukturen und Zuordnungen. Das Allover der über die Wände verteilten Fotos vermittelt den Eindruck eines Puzzles aus überraschenden Stilleben. Eva Leitolf entwirft aus ihrer Erfahrung im amerikanischen Modell das Planungsraster einer potentiellen Modell-Heimatstadt, zwischen Innen und Aussen, interieur und exterieur. Indem sie Wohnungsgrundrisse ineinanderlaufen läßt, entstellt sie ein modellübergreifendes Wohn-Labyrinth. Orientierungspunkte bieten unterschiedliche Farbfelder, die Räume wiederum gruppieren oder einzeln hervorheben. Neben den üblichen Zimmern finden wir hier auch "Bonus rooms" und "Optional rooms". Spielräume, die wie in einem Glücksspiel Raumgewinne versprechen, nur gegen Aufpreis natürlich. Die Karten erschließen uns das Modell in seiner labyrinthischen Struktur: Sackgassen, Wiederholungsschleifen, immer wiederkehrende Ähnlichkeiten, ohne Anfang ohne Ende. Es ergibt sich ein Wechselspiel zwischen ästhetischen und sozialen Dimensionen, zwischen individuellen und Gruppenelementen, zwischen Nähe und Anonymität. Es ergeben sich Fragestellungen nach den Wechselbeziehungen zwischen konsumorientierten Gestaltungen des öffentlichen Raumes und der eigenen Wohnung. Aus scheinbar überschaubaren, nach Ziffern geordneten Zusammenhängen ergeben sich labyrinthische Situationen, die im Kreis enden. Die Suche spiegelt eine Ortlosigkeit innerhalb eines zusammenhängenden Modells aus endlos aneinandergefügten gleichartigen Systemen von Straßen, Häusern und Räumen. Aus gesichtlosen Potiemkinschen Dörfern erklingen Stimmen des von den Medien beherrschten Alltags. Übrig bleibt am Ende eine Vorstellung von Heimatstadt als Modell ohne klare Orientierungspunkte. Die Wirklichkeit gestaltet das Konsum-Modell. Home Town - Model Home ist als ORTungen '99 eine Ausstellung des Interdisziplinären Büros in der methodischen Reihe "ORTungen". |