Am Feministischen Protesttag fordern wir mehr Solidarität mit Sexarbeitenden!
Der „Internationale Frauentag“, der auf eine weltweite Bewegung von Arbeiterinnen im 19 Jahrhundert zurückgeht und sich dank der Politikerin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin 1911 international implementierte, steht heute im Sinne eines modernen Feminismus nicht mehr nur für Frauen, sondern für alle marginalisierten Geschlechter. Damit wird er immer häufiger als „Feministischer Kampf- bzw. Protesttag“ besprochen. So auch von uns.
Darüber hinaus ist der 08.03. auch kein „Feiertag“, wie es häufig euphemistisch heißt. Gefeiert werden kann nämlich nur da, wo auch genügend erreicht wurde. Vielmehr ist er also ein Aktionstag, an dem anhaltende Missstände angeprangert werden. In unserer Arbeit müssen wir immer wieder feststellen, dass Kämpfe und Proteste noch heute nötig sind, um alte Strukturen, eine Gesellschaft voller Doppelmoral, Vorherrschaften und Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, der Herkunft oder des sozialen Status zu entlarven und aufzubrechen.
Die „unsichtbar Sichtbaren“: Die vielen unterschiedlichen Menschen, die am jeden 08. März weltweit demonstrieren, haben trotz ihrer Diversität eines gemein: Sie plädieren u.a. für Selbstbestimmung und ein Ende der strukturellen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die in vielen Formen auftritt. Eine Gruppe, die damit seit jeher stark konfrontiert wird und dazu oftmals weniger subtil, ist die der Menschen im sexuellen Dienstleistungsgewerbe. So wundert es, dass es gerade diese sind, die selbst bei solchen Aktionstagen, welche genau das anprangern, was sie alltäglich erleben, stets unterrepräsentiert und damit „unsichtbar“ sind. Sichtbar sollen sie wohl nur für diejenigen sein, die ihre Dienste in Anspruch nehmen – Paradox. Dabei ist es gerade diese Gruppe, die häufig mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt ist. Intersektionalität, so der Fachbegriff, meint das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, des sozialen Standes, … Die Liste ist lang. Trotzdem finden sich in den Reihen an Veranstaltungen, die massenhaft um den 08.03. in jeder Stadt organisiert werden, selten welche zu dieser Thematik vor.
Sexarbeitende sind Teil innerfeministischer Kämpfe: Ein Grund dafür mag darin liegen, dass selbst innerhalb des Feminismus eine widersprüchliche Debatte zur Thematik geführt wird: Während die einen ein Sexkaufverbot fordern, um Betreffende zu schützen oder die Branche gleich ganz abschaffen wollen, appellieren andere daran, Sexarbeit wie eine gewöhnliche Lohnarbeit zu behandeln; sie zu enttabuisieren und damit auch zu entkriminalisieren. Damit sind die Betreffenden Gegenstand innerfeministischer Kämpfe und sehen sich häufig mit den polarisierenden Status „Opfer“ versus “Unternehmer:in“ konfrontiert. Auch die Debatte um die Begriffe „Sexarbeit“ und „Prostitution“ rührt aus diesem Disput: Sexarbeit wird mit Selbstbestimmung assoziiert, während die negativ konnotierte Prostitution eher mit Zwangskontexten in Verbindung gebracht wird.
Eine derartige Pauschalisierung gestaltet sich allerdings schwer, insbesondere, weil sich das Arbeitsfeld sowie die Beweggründe und Lebenswelten durchaus divers darstellen und damit eine differenziertere Perspektive notwendig machen.
In der Tat ist es so, dass es Menschen gibt, die unter „bestimmten Umständen“ in dieser Branche tätig sind. Das können Armut, Unterdrückung, Alternativlosigkeit oder Zwänge sein, welche die Wahl einer anderen Tätigkeit möglicherweise einschränken und die Entscheidung damit vielleicht zu einer persönlichen Zwangshandlung machen können – wenn eben auf anderem Wege die Kinder nicht satt oder die Mieten nicht bezahlt werden können. Solche Situationen sind es, in denen die Frage danach gestellt wird, ob sich wirklich frei für oder gegen die Tätigkeit entschieden werden kann. Gleichwohl gibt es Menschen, die sich selbstbestimmt und freiwillig für diese Arbeit entscheiden. Häufig sind dies auch diejenigen, die sich vernetzen, in Berufsverbänden für ihre Rechte einsetzen, sich an politischen Diskursen beteiligen sowie an die Öffentlichkeit wenden. Dennoch wird diese Freiwilligkeit nach wie vor in vielen Debatten grundsätzlich in Frage gestellt, sodass die Diskussion darum noch lange nicht abgeschlossen scheint.
Es geht uns alle an! Unumstritten ist jedoch, dass wir als Gesellschaft eine Mitverantwortung tragen, uns aber in weiten Teilen nicht verantwortlich fühlen. So gibt es z.B. kaum Projekte, die gezielt die Kunden sexueller Dienstleistungen hinsichtlich gewaltvoller Handlungen, Wertschätzung, Respekt oder einer angemessenen Bezahlung ansprechen. Sexarbeit ist in den Augen vieler eben immer noch moralisch verwerflich, auch in einer aufgeklärten Gesellschaft wie der unseren. Moralische Verwerflichung findet sich jedoch eher in der Diskriminierung und Stigmatisierung sowie in der „Klassengesellschaft“, die eine kapitalistische Armut produziert, welche sich einerseits im privat angeeigneten Reichtum einzelner und andererseits in massenhafter Armut und Unterdrückung anderer, realisiert.
Daher ist es wichtig, Partei zu ergreifen. Für diejenigen, die bestimmten Zwängen unterliegen und für solche, die selbstbestimmt dieser Arbeit nachgehen. Beide Gruppen werden auf unterschiedlichste Art diskriminiert und mit Zuschreibungen überhäuft. Wir plädieren deshalb für Wertschätzung, Akzeptanz sowie Enttabuisierung und ermutigen alle zu einer differenzierten, mehrdimensionalen und entmoralisierten Perspektive auf die Tätigkeit selbst und die Menschen, die ihr nachgehen.
Heute sowie an jedem anderen Tag.
*Respect all Sexworker*