Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
Am 16. November 2001 hat sich die politische Landschaft in Deutschland grundlegend und nachhaltig verändert. Offensichtlich hat keiner der Enkel die Erfahrung Willy Brandts aus dem Vietnamkrieg zur Kenntnis genommen oder verstanden.
Friedensnobelpreisträger Brandt schreibt nämlich in seinen Erinnerungen: "Auch mächtige Freunde nicht im Stich zulassen, wenn sie ernste Probleme haben, ist eine Sache, sich mit ihnen nicht zu solidarisieren, wenn sie eine falsche Politik verfolgen, ist eine andere." (Erinnerungen, Frankfurt/M. 1989, S. 398)
Andrea Nahles, Bundestagsabgeordnete der SPD und Sprecherin der Parteilinken, begründete die geschlossene Zustimmung ihrer Fraktion zum Bundeswehreinsatz und zur Vertrauensfrage des Kanzlers unter anderem damit, mit der rot-grünen Bundesregierung hätten die sozialen Bewegungen in diesem Land erstmals "Gestaltungsmacht" bekommen. Deshalb dürfe diese Regierungsmehrheit nicht das Feld räumen, um es anderen zu überlassen, die nicht in diesem Sinne Politik machen.
Als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft, als Pazifistin und als Sozialdemokratin muss ich diese Darstellung scharf zurückweisen. Mit dem gestrigen Beschluss haben sich vielmehr auch noch die letzten Abgeordneten von SPD und Grünen aus der Friedensbewegung verabschiedet.
Schon in den drei Jahren zuvor haben wir wenig von dem Politikwechsel gespürt, den viele von uns mit dem Regierungswechsel erhofft hatten. Natürlich war uns klar, dass auch eine rot-grüne Bundesregierung sich nicht umgehend an die Abschaffung der Bundeswehr machen würde.
Dennoch gab es klare, realpolitisch umsetzbare Ziele, in denen wir uns einig wussten mit denjenigen, die nun die deutsche Politik gestalten würden. Was ist daraus geworden?
Der Eurofighter, gegen den SPD und Grüne vehement eingetreten waren, wird für die Truppe angeschafft. Und er bleibt nicht allein. Rot-grün führt alle Rüstungsprojekte der Kohl-Regierung fort und schmiedet eigene Beschaffungspläne.
Weiterhin lagern in Deutschland Atomwaffen, auch Bundeswehrpiloten üben deren Einsatz. Politikerinnen und Politiker, die vor 20 Jahren mit uns Raketenstellungen blockierten, unternehmen nichts dagegen.
Neue Rüstungsexportrichtlinien sollten den Export deutscher Waffen einschränken. Von Verstößen erfährt allerdings auch das Parlament erst im Nachhinein.
Positive Ansätze versanden. So gab es im Außenministerium Überlegungen, im Zuge der Modernisierung der Bundeswehr 100.000 G3-Gewehre zu verschrotten. Das ist aber nie umgesetzt worden, so dass diese Gewehre vermutlich billig auf dem Weltmarkt landen. Schon heute ist das deutsche G3 eine der verbreitetsten Waffen in Kriegen und Bürgerkriegen.
Ohne militärische Notwendigkeit hält eine Mehrheit in der SPD an der allgemeinen Wehrpflicht fest und zwingt damit junge Männer bei Strafandrohung in die Kasernen sowie in einen Zivildienst, der nur mühsam Löcher im sozialen Netz verkleistert, ohne sie zu stopfen.
Mit dem Einsatz gegen Jugoslawien beteiligte sich die Bundeswehr unter rot-grüner Führung erstmals aktiv an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. So wurde Krieg wieder zum Mittel deutscher Außenpolitik. Zwar betonen Joschka Fischer und andere stets, der Einsatz von Militär sei ein letztes Mittel, wenn alle anderen versagt hätten. Doch für das angeblich letzte Mittel wird ein Vielfaches dessen aufgewendet wie für alle anderen Mittel zusammen.
Diese Entwicklung hat mit dem Beschluss von gestern einen neuen Höhepunkt erreicht. Die grüne Abgeordnete Angelika Beer, die noch vor wenigen Jahren engagiert und führend in der Landminenkampagne für die Ächtung dieser verbrecherischen Waffen eintrat, stimmt nun der Beteiligung Deutschlands an einem Krieg zu, in dem die Streubomben und Minen unserer Verbündeten das Land mit der höchsten Minendichte noch weiter verseuchen.
Angesichts dieser harten Fakten braucht die Abgeordnete Nahles viel Fantasie, um hier die "Gestaltungsmacht" der Friedensbewegung zu erkennen.
Fantasie, die übrigens auf der anderen Seite jenen in der Politik fehlt, die Bombenkrieg und Bundeswehreinsatz als "alternativlos" darstellen, wie dies die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zu tun pflegt. Ohne Alternativen braucht man auch keine Politik mehr, weil es dann immer nur eine Entscheidung geben kann.
Immer wieder werde ich bei Veranstaltungen gefragt, was denn die Alternative der Friedensbewegung zum Krieg gegen den Terror sei. Gegen international operierende Terroristen müssen meiner Ansicht nach rechtliche, polizeiliche und politische Mittel eingesetzt werden. Eine wichtige Rolle sollte hierbei der internationale Strafgerichtshof spielen, dessen Einrichtung allerdings von den USA blockiert wird.
Zum Krieg als Mittel der Politik gibt es nur eine Alternative: Gewaltverzicht, Abrüstung und konsequente Achtung des internationalen und Völkerrechts. An diesen Prinzipien müssen sich Politiker und Parteien messen lassen, wenn sie beanspruchen wollen, dass ihre Politik dem Frieden dient. Mit ihrer Zustimmung zum Kriegseinsatz der Bundeswehr haben sich die Abgeordneten wahrscheinlich für lange Zeit gegen diese Prinzipien entschieden.
Denn:Wir, liebe Freundinnen und Freunde, müssen uns dieser Gefahr entgegenstellen. Wer Kriege ablehnt, ist deswegen nicht politikunfähig. Pazifistinnen und Pazifisten gehören selbstverständlich ins Parlament und auf die Regierungsbänke. Das Grundgesetz verbietet die Vorbereitung von Angriffskriegen, keineswegs ihre Ablehnung.
Die Deutsche Friedensgesellschaft schlägt vor, im bevorstehenden Wahlkampf von allen Parteien, allen Kandidatinnen und Kandidaten Schritte zur Abrüstung zu fordern. Dabei geht um kurzfristige, realpolitisch umsetzbare Abrüstungsmaßnahmen gibt, die den Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee stoppen und zivile Alternativen stärken.
Es reicht nicht, immer nur zu reagieren, wenn Kriege geführt werden. Wenn wir den Namen "Friedensbewegung" wirklich verdienen wollen, müssen wir anfangen, Krieg zu verhindern indem wir seine Vorbereitung unterbinden. Dafür brauchen wir ein abrüstungspolitisches Programm und eine außerparlamentarische Bewegung, die von unten richtig Druck macht. Dazu will ich euch und auch die Mitglieder von SPD und Grünen, von Gewerkschaften und Kirchen aufrufen. Fragt nicht nur nach dem Krieg in Afghanistan, sondern auch nach den kommenden Kriegen und was getan wird um sie zu verhindern:
Die Politikerinnen und Politiker müssen sich an ihren Taten messen lassen. An dieser Stelle sage ich ganz offen, dass ich im Augenblick weder Grüne noch SPD für wählbar halte, nicht nur weil sie in der Frage von Krieg und Frieden versagt haben, sondern auch weil ich das Politikverständnis, das der gestrigen Entscheidung zu Grunde liegt, für zutiefst undemokratisch halte.
Ich bin gegen eine Politik der Alternativlosigkeit. Fordern wir eine friedenspolitische und demokratische Alternative zu CDU und FDP, die unser Land in 16 Jahren kriegsbereit gemacht haben. Machen wir jede Wahlveranstaltung zu einer Diskussion um Alternativen zum Krieg und Schritte zur Abrüstung. Gehen wir weiter auf die Straße für Frieden und Demokratie!