NS-Hintergrund

Neben dem kolonialen Hintergrund der Straßennamen wecken auch die Umstände der Benennung Zweifel an der Angemessenheit dieser Ehrungen. Beide Straßen wurden am 2. März 1939 benannt, das heißt zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Antrag erfolgte jeweils durch den NSDAP-Oberbürgermeister der Stadt Münster, Albert Anton Hillebrand (im Amt von 1933 bis 1945), am 1. November 1938. Genehmigt wurden die Anträge am 19. November 1938 durch den Polizeipräsidenten.[1]

Stadtplan von Münster, 1939; Vervielfältigung mit Genehmigung des Vermessungs- und Katasteramtes der Stadt Münster vom 9.3.2022, Kontrollnummer: 6222-22-01106

Auch wenn die Motivation zur Straßenbenennung nicht aus den verfügbaren Quellen hervorgeht, steht es außer Frage, dass diese im Zusammenhang mit der NS-Ideologie stand. Die Benennung selbst erfolgte dabei zwar aufgrund der Initiative kommunaler Entscheidungsträger, es ist aber davon auszugehen, dass dies unter staatlicher und ideologischer Aufsicht insbesondere der NSDAP geschah.[2] Die Erinnerung an die Kolonien bzw. ihren Verlust im Zuge des Ersten Weltkriegs wurde schon während der 1920er-Jahre durch die sogenannte Kolonialbewegung, vor allem aber in der Zeit des Nationalsozialismus aufrechterhalten. Reichsweit gab es in der NS-Zeit eine ganze Reihe von Benennungen nach Kolonialrepräsentanten. Mit der Benennung der beiden Straßen in Münster sollte gewiss ein symbolpolitisches Zeichen gesetzt werden, mit dem nicht zuletzt die Bevölkerung auf den kommenden Krieg und koloniale Eroberungen, dieses Mal im Osten Europas, eingestimmt werden konnte. 

Einwohnerbuch der Provinzialhauptstadt Münster von 1939; Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Sign. Z QU 853-62

Mit Straßenbenennungen aus der NS-Zeit setzt sich auch ein von der Bezirksvertretung Mitte im Dezember 2020 in Auftrag gegebener Bericht auseinander.[3] Dieser sollte klarstellen, „ob und inwieweit diese Namen die Funktion hatten, die NS-Ideologie, nationalsozialistische Erinnerungsabsichten oder die Ziele der NS-Politik zu veröffentlichen“. Vor dem Hintergrund, dass Straßenbenennungen stets Ausdruck der zur jeweiligen Zeit herrschenden Machtverhältnisse seien, hält der Bericht fest, dass „alle im Zeitraum zwischen 1933 und 1945 vergebenen Straßennamen in ,nationalsozialistische(n) Erinnerungsabsichtenʻ vergeben worden“ sind. Weiter heißt es im Bericht: „der Nationalsozialismus [nutzte] ältere, besonders innerhalb eines nationalistischen und konservativen Milieus vorhandene Erinnerungsbestände und entwickelte diese teils zu eigenen Geschichtsdeutungen weiter […] die verlängerten Traditionslinien [schufen] eine Verbindung zu breiteren Teilen der deutschen Gesellschaft und konnten zu deren Integration in den neuen NS-Staat beitragen.“ In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass auch der Woermannweg und der Lüderitzweg aus ideologischer Motivation heraus so benannt wurden.

Eine direkte Kontinuitätslinie von der kolonialen Ausbeutung in Afrika zum nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug in Osteuropa ab 1939 lässt sich nicht zuletzt im Hinblick auf die Aktivitäten deutscher Handelsunternehmen erkennen. In den besetzten Gebieten Polens, insbesondere im Generalgouvernement, waren zahlreiche hanseatische Firmen, die zuvor im Afrikahandel tätig waren, als sogenannte Kreisgroßhändler im Einsatz. Durch den Beginn des Krieges hatten sie die Grundlage für ihre Import- und Exportgeschäfte mit dem afrikanischen Kontinent verloren. Aufgrund ihrer Erfahrungen in kolonialen Kontexten wurden sie nun an der Ausbeutung der eroberten Gebiete im Osten beteiligt. Unter etwa 50 Firmen aus Bremen und Hamburg befand sich beispielsweise auch die Firma „Woermann und Co.“. In ihrem Auftreten übertrugen die im Osten tätigen Unternehmer ihr koloniales und rassistisches Selbstverständnis auf die neue Umgebung. So wurde etwa in Geschäftsberichten geschildert, dass die „Primitivität Polens sehr stark an Afrika“ erinnere.[4]

Zum Weiterlesen:

  • Alexander J. Schwitanski (unter Mitarbeit von Hannah K. Ruff), Prüfung der in der Stadt Münster, Bezirk Mitte, in der Zeit des Nationalsozialismus vergebenen Straßennamen. Abschlussbericht, 3.11.2021.
  • Marcus Weidner: Die Straßenbenennungspraxis im Nationalsozialismus, in: Matthias Frese (Hrsg.): Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur [Hrsg. vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster], Münster 2012.

Anmerkungen:

[1] Stadtarchiv Münster, Amt 23, Nr. 23 alt.

[2] Vgl. Marcus Weidner: Die Straßenbenennungspraxis im Nationalsozialismus, in: Frese, Matthias (Hrsg.): Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur [Hrsg. vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster], Münster 2012, S. 47f.

[3] Alexander J. Schwitanski (unter Mitarbeit von Hannah K. Ruff), Prüfung der in der Stadt Münster, Bezirk Mitte, in der Zeit des Nationalsozialismus vergebenen Straßennamen. Abschlussbericht, 3.11.2021.

[4] „Zögerliche Aufarbeitung“. Bremer und Hamburger Kaufleute profitierten in der NS-Zeit besonders stark im besetzten Osten. Und viele Firmenarchive sind bis heute unzugänglich, Interview mit dem Historiker Felix Matheis, 21.8.2021, https://taz.de/Historiker-ueber-NS-Profiteure/!5793168&s=Schellen+1; Karsten Linne, Afrikafirmen im „Osteinsatz“, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 16 (2001), S. 49-90.