Von der Lust und dem Leid des Aufbewahrens und Aussortierens
Christa Lorei
Manche Zeitgenossen sind in ihrem Umfeld berühmt-berüchtigt für ihre Lust, oder soll man besser sagen Wut, alles aufzuräumen und auszusortieren. Wenn ich so meine private Statistik betrachte, sind es eher Frauen als Männer. Ist ja auch verständlich wegen der Jäger- und Sammler-Gene bei den Männern und der noch immer weiblichen Zuständigkeit für den Haushalt.
Sie führen gute Gründe an: Man brauche Platz für Neues oder die Phase, in der man diesen oder jenen Gegenstand gebraucht habe, sei vorbei. Es gibt unendlich viele Gründe, aber oft auch vehementen Widerstand. Daher ist es sicher interessant und von Bedeutung, sich vor dem Aussortieren einige Fragen zu stellen: Wann habe ich diesen Gegenstand zum letzten Mal benutzt? Bedeutet er mir noch etwas? Aus welchem Grund bewahre ich ihn auf?
Und wenn man sich dann entschieden hat, geht es erst richtig los. Jeder, der schon einmal Sachen auf dem Flohmarkt verkauft hat, weiß, wie schmerzhaft es sein kann, einen Gegenstand, der (einem) mal sehr teuer war, „für einen Appel und ein Ei“ abzugeben.
Dann lieber verschenken, nur um darauf erfahren zu müssen, dass die Wohltätigkeitsorganisation schon Mengen dieser Dinge im Lager hat.
„Zurzeit gibt es keinen Markt dafür“, ist auch die Antwort der Galeristen, wenn sie – nicht ohne Mitgefühl – auf die einst mit soviel Stolz besessenen Serigrafien zeitgenössischer Künstler blicken. Und dann das Ölgemälde, von den Eltern an die kunstsinnige Tochter vererbt. Der Maler war begabt, aber das Sujet, ein Korbflechter, passt wohl nur noch ins Heimatmuseum oder in einen Landgasthof.
Diese Erfahrungen des rapiden Werteverfalls und auch des Desinteresses der Nachkommenschaft können sehr heilsam sein. Man überlegt bei einer Neuanschaffung vielleicht immer öfter: Ich bin jetzt 60 oder 70 Jahre ohne diesen Gegenstand ausgekommen, was hat sich geändert?
Ich habe im Laufe der Jahre viele Erfahrungen mit Auflösen, Abgeben und Verkaufen gesammelt. Als meine Mutter starb, hatte ich einen Haushalt von 240 Quadratmetern aufzulösen. Das war unendlich viel Arbeit. Am Ende habe ich nur noch geheult. Es war ein langes Abschiednehmen von allem, was meinen Eltern lieb und teuer war, woran auch eigene Kindheitserinnerungen hafteten. Damals habe ich mir dringend gewünscht, meine Mutter hätte einfach schon mal begonnen mit dem Aussortieren.
Aber ob der Abschied von ihr dann so gelungen wäre?
Ich hatte am Schluss das Gefühl, dass alles gut war, so wie es war.
Ein alter Mönch, der durch seine Publikationen auch bei uns einige Berühmtheit erlangt hat, wurde durch die Einkaufsmeile einer deutschen Großstadt geführt. Er klatschte begeistert in die Hände und freute sich: „All diese wunderschönen Sachen, die ich nicht brauche.“
Dahin geht für mich der Weg. Ich stelle mir vor, dass es immer leichter wird loszulassen, wenn man es täglich übt – am Ende vielleicht sogar das Leben.