Eine peinliche Geschichte

Gabriele Neuhaus

Warum muss die Sprache der Medizinberufe für Laien – und das sind die meisten Normalbürger – nur so unverständlich sein? Vor einer Woche ist Elisabeth jedenfalls ganz schön hereingefallen; und dabei hat sie sich, wie so oft, nur auf ihren gesunden Menschenver­stand verlassen.

Schon seit Jahren leidet Eli­sabeth unter schweren Beinen. Besonders im Sommer schwel­len sie an und an einigen Stellen haben dicke blaue Venen die Haut verunziert, an anderen formieren sich winzige Äderchen zu so genannten Besenreisern. „Meine Beine sind bunt wie eine Land­karte. Ich muss mir unbedingt die Venen strippen lassen“, sagt Elisabeth zu ihrem Mann. Doch zu welchem Arzt soll sie gehen? Ihr Hausarzt kommt hierfür nicht infrage – außerdem ist er auch gerade im Urlaub.

Kurz entschlossen greift Elisabeth zum Telefonbuch. Ärz­te findet sie massenweise: von Akupunktur bis Zahnmedizin, alle Fachrichtungen sind vertreten – nur für ihre Venen scheint keiner zuständig zu sein. Nach langem Suchen findet sie schließlich in der Liste zwei Ärzte, die sich Ve­nerologen nennen. „Merkwürdig, dass es nur zwei sind – wo sich doch so viele Leute die Venen strippen lassen…“ Und obwohl Elisabeth leicht verunsichert ist, lässt sie sich in der Praxis von Dr. Müller, Arzt für Dermatolo­gie und Venerologie, also einem Haut- und Venenarzt, wie sie denkt, einen Termin geben.

Als sie am Dienstag pünkt­lich um acht in der Anmeldung der Praxis steht und ihr Anliegen vor­trägt, versteht sie zunächst nicht, warum die Arzthelferin so merk­würdig guckt. Doch dann – nach einer ausführlichen Aufklärung durch die junge Frau – verlässt Elisabeth, hochrot im Gesicht, eilig das Haus.

Was ist passiert? Elisabeth versteht die Welt nicht mehr. Ein Venerologe hat gar nichts mit Venen zu tun, er ist Arzt für – Geschlechtskrankheiten. Ein Venenarzt ist ein Phlebolo­ge (phleb- = griech. Blutader) Doch wie kommt die Medizin auf „Venerologie“? Elisabeths Nachforschungen ergeben, dass hier die Liebesgöttin Venus eine Rolle gespielt hat. War doch die Medizin über Jahrhunderte die Domäne der Männer, und die kannten sich mit dem Lebens­wandel der antiken Göttin genau aus. Erkrankte jemand an einer venerischen Krankheit, so wuss­te man Bescheid. Niemand kam auf die Idee, nach seinen Venen zu sehen.

Bei ihren Nachforschungen in der Ärztetafel des Telefonbu­ches kam Elisabeth automatisch ins „heitere Beruferaten“. Hier nur einige Beispiele:

Was ist ein Androloge? Der Androloge (griech. andro- = männlich), wie auch der Endo­krinologe (griech. endokrin- = ausscheiden, hier: von Drüsen) beschäftigt sich mit Hormon- und Stoffwechselerkrankungen.

• Ein Angiologe (griech. angos- = Gefäß) diagnostiziert und thera­piert Gefäßkrankheiten.

• Ein Chirotherapeut (chir- = Hand) ist wie der Chirurg einer, der mit der Hand arbeitet.

• Ein Kardiologe (griech. kardia = Herz, Seele) ist ein Arzt, der sich um Herzkranke kümmert.

• Ein Nephrologe (griech. nephros = Niere) ist ein Arzt für Nieren­krankheiten.

• Ein Urologe (griech. ur- = Harn) ist u. a. zuständig für die Nieren und ableitenden Harnwege.

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