08. Mai 2003
8. Mai 1945 - 8. Mai 2003
Befreiung von Krieg und
Faschismus
Mit
einer Kranzniederlegung am Zwinger erinnerten die "Rosa
Geschichten" und die VVN/BdA Münster am 8. Mai an den 58.
Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus.
Nach einem Grußwort von Karin Reismann, Bürgermeisterin der
Stadt Münster, sprachen:
Roman Franz, Vorsitzender des Landesverbandes NRW der
Sinti und Roma
Stefan Sudmann, Rosa Geschichten
Stefan Proske, VVN-BdA
8. Mai 2003 - Gesprächsabend
mit Roman Franz in der ESG
von Stefan Proske
Anläßlich
des 58. Jahrestages der Befreiung von Krieg und Faschismus am 08.
Mai veranstaltete die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) Münster in
Zusammenarbeit mit der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG)
einen Gesprächsabend mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes der
Sinti und Roma, Roman Franz, in der ESG.
Roman Franz, der schon am frühen Abend auf der
Gedenkveranstaltung am Zwinger an die Verfolgung der Sinti und Roma
erinnerte, nahm sich in der ESG viel Zeit, um den Besuchern der
Veranstaltung zum einen die Kultur der Sinti und Roma näher
vorzustellen, als auch sehr eindrucksvoll und bewegend an das Leid
seiner Menschen vor allem im Faschismus zu erinnern.
Hunderttausende Sinti und Roma wurden im Faschismus zuerst zu
einer "artfremden Rasse", zu "gemeinschaftsfremden
Untermenschen" konstruiert, schnell stigmatisiert, entrechtet,
verfolgt, letztlich deportiert und in Konzentrationslagern
vernichtet. Die systematische Verfolgung der Sinti und Roma verlief
nach der faschistischen Machtübernahme von Anfang an parallel zur
Verfolgung der Jüdinnen und Juden. Roman Franz erinnerte an die
erniedrigenden Menschenversuche, an die Zwangssterilisationen, von
denen auch Sinti und Roma betroffen waren.
Franz verdeutlichte in seinem Vortrag, in welch vielfältiger
Weise Sinti und Roma vor der Machtübertragung der Nazis am
gesellschaftlichen Leben teilgenommen haben. "Seit Jahrhunderte
leben wir in Europa und bilden eine alteingesessene und historisch
gewachsenen Minderheit", so Franz. Auch in Deutschland sind
Sinti und Roma seit 600 Jahren beheimatet. Durch die NS-Ideologie
wurden Sinti und Roma aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens
ausgegrenzt, die Normalität des Zusammenlebens systematisch
zerstört.
Heute leben etwa 70.000 Sinti und Roma in der Bundesrepublik.
Eine Auseinandersetzung mit der Verfolgung ihrer Minderheit fiel
sehr vielen Überlebenden sehr schwer. Roman Franz erinnerte hier an
seinen Vater, der viele Jahre in Konzentrationslagern zu
menschenverachtender Arbeit gezwungen wurde, aber diesen Terror
überlebte. Erst viele Jahre nach der Befreiung vom Faschismus
bildeten sich die ersten auch politischen Zusammenschlüsse der
Sinti und Roma. Der Zentralrat der Sinti und Roma und dessen
Landesverbände stellen heute die wichtigsten Organisationen der
Sinti und Roma dar, die eine wesentliche Aufgabe darin sehen,
zwischen einer historischen Erinnerung an die Verfolgung und der
Gegenwart eine Brücke zu bauen. "Das Gedenken an die Opfer des
Naziterrors sensibilisiert für die aktuellen Formen von Rassismus,
die unser Gemeinwesen heute bedrohen", so der Vorsitzende der
Sinti und Roma in NRW, Roman Franz.
Die VVN/BdA Münster setzte mit diesen Veranstaltungen eine
mittlerweile jahrelange Tradition der Auseinandersetzung mit dem
historischen Faschismus fort.
8. Mai 2003 - Ansprache von
Stefan Sudmann (Rosa Geschichten) am Zwinger
Ein Gedenken – auch – an das
Leben, nicht (nur) an den Tod
Die
Nationalsozialisten hatten schon in den 20er Jahren den Schwulen und
Lesben den Kampf angesagt - nach der Machterschleichung begannen sie
auch sofort, ihre Ankündigung in die Tat umzusetzen. Nach den
ersten Razzien in ‘einschlägigen’ Etablissements bereits in den
ersten Monaten verschärfte sich die Lage zunehmend. Das ‘Institut
für Sexualwissenschaft’, eines der Zentren der deutschen
Schwulenbewegung, wurde am 6. Mai ´33 gestürmt, die Bibliothek
wurde bei der großen Bücherverbrennung 4 Tage später „dem Feuer
übergeben“. Noch im selben Jahr kamen die ersten schwulen ‘Schutzhäftlinge’
als ‘Staatsfeinde’ und ‘Volksschädlinge’ ins Lager, für
die extra eine neue Kategorie ‘homosexuell’ mit dem Rosa Winkel
eingeführt worden war.
Weitere Maßnahmen folgten auf den Fuß: Die Polizei wurde
angewiesen, für das ‘Sonderdezernat Homosexualität’ ‘Rosa
Listen’ zur Erfassung von auffällig gewordenen Schwulen
anzulegen. Nach der Einrichtung einer ‘Reichszentrale zur
Bekämpfung der Homosexualität’ wurde schließlich 1935 der §175
verschärft und erweitert, so daß nun auch nur der Ansatz einer
sexuellen Handlung zwischen Männern als strafbar galt. Nach
Kriegsbeginn drohte Schwulen in Polizei und Armee die sofortige
Hinrichtung. Zivilisten kamen nun in zunehmendem Maße in die
Konzentrationslager, wo sie ganz unten in der Lagerhierarchie
standen. Viele wurden für medizinische Experimente mißbraucht, die
nicht selten tödlich endeten. Die Zeiten, als Deutschland als ein
Zentrum schwuler-lesbischer Kultur und Bewegung in Europa galt,
waren endgültig vorbei.
Aber auch nach dem 8. Mai 1945 mußten die überlebenden Lesben
und Schwulen feststellen, daß sie wieder nicht mit dazu gehörten,
daß für sie die Zeit der Rechtlosigkeit immer noch nicht zu Ende
war. Denn auch für die neuen Machthaber galten sie als Kriminelle
(manche kamen direkt vom KZ ins Gefängnis). Die Bundesrepublik
Deutschland griff nicht an die Reformansätze der Weimarer Republik
an, sondern ließ den §175 in seiner Nazi-Fassung von 1935 stehen.
Die Urteile der Nazi-Zeit blieben rechtsgültig – finanzielle
Ansprüche zu erheben blieb den verfolgten Schwulen so im Gegensatz
zu anderen Opfergruppen versagt. Erst in jüngster Zeit kamen die
wenigen Überlebenden noch zu ihrem Recht.
Die Schwulen, die im ‘3. Reich’ verfolgt und umgebracht
wurden, waren keine heroischen Widerstandskämpfer, und zu Helden
wollen wir sie auch gar nicht hochstilisieren. Allein ihre ‘unproduktive’
Sexualität ließ sie für die Nazis zu einer ‘Gefährdung der
Volksgesundheit’ werden. Ihr ‘Verbrechen’ war schlicht: Sie
liebten Männer. Auch körperlich. Gerade körperlich. Dafür wurden
sie verfolgt, mißhandelt und ermordet, totgeschlagen und – in
vielen Geschichtsbüchern – auch totgeschwiegen. Damit stehen die
deutschen Schwulen und Lesben 1933-45 nicht allein in der Geschichte
der Menschheit. Doch nicht nur ‘Geschichte’: Auch die Gegenwart
ist nicht so strahlend, wie man denkt - zumindest nicht in den
meisten Teilen der Welt. Auch daran wollen wir denken, wenn wir hier
(seit über 10 Jahren schon) einen Kranz für alle verfolgten
Schwulen und Lesben niederlegen – gestern und heute. Noch immer
gibt es Regierungen, Parteien, Ideologen und Teile der Bevölkerung
– auch in Deutschland –, die denken, Sexualität nach bestimmten
Kategorien bewerten und mündigen Menschen eine bestimmte
Sexualität vorschreiben bzw. verbieten zu dürfen.
Daß dies ein Ende haben muß, ist eine - leider - immer noch zu
erhebende Forderung, die wir hier stellen wollen und auch müssen -
eine Forderung auch im Namen der Toten, derer wir hier gedenken,
eine Forderung, die mehr ist als bloß betroffenes Schweigen. Sie
äußert vielmehr Wut und sollte verbunden sein mit einer
Demonstration unserer eigenen Freude am Leben und Lieben. Auch die
Toten haben diese Freude empfunden, wofür sie schließlich ins
Lager gesteckt wurden. Nicht nur an deren elendes Sterben, sondern
auch an deren Freude am Leben und Lieben wollen wir hier gedenken.
Deswegen bitten wir die Floristin auch immer, kein einfaches
Trauergesteck anzufertigen – die Blumen sollen Leben
symbolisieren. Denn vor allem ein solches Gedenken, das sich nicht
auf die bloße Kultivierung einer Opferrolle beschränkt, mag sich -
so hoffe ich – als unserer Toten würdig erweisen.
8. Mai 2003 - Ansprache von
Stefan Proske (VVN-BdA Münster) am Zwinger
Liebe
Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich begrüßen möchte ich Sie und möchte ich Euch zu unser
diesjährigen Gedenkveranstaltung anläßlich des 58. Jahrestages
der Befreiung von Krieg und Faschismus. Vor 58 Jahren schwiegen die
Waffen, vor 58 Jahren mußte das faschistische Deutschland vor den
Mächten der Antihitlerkoalition bedingungslos kapitulieren.
Ein offizielles Gedenken findet heute nicht statt. Die
Bundesregierung folgte vor einigen Jahren einem Vorschlag des
damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, den 27. Januar, den Tag
der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, als offiziellen
Gedenktag an die Verbrechen des Nationalsozialismus einzuführen.
Die Verbrechen der deutschen Faschisten gingen aber auch nach dem
27. Januar 1945 noch weiter. Vor der Befreiung von Auschwitz wurden
noch tausende Gefangene aus Auschwitz abtransportiert. Sie erlebten
keine Befreiung, sondern Vernichtung - beispielsweise im
Konzentrationslager Buchenwald.
Auch 58 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des
faschistischen Deutschland ist die Interpretation des 8. Mai immer
noch umstritten. Immer noch verbinden viele Mitbürger mit diesem
Datum nicht Befreiung von Krieg und Faschismus, sondern eine
Niederlage deutscher Großmachtinteressen.
Für das imperialistische Deutschland war der 8. Mai 1945 eine
Katastrophe, sein Vormachtstreben war zum zweiten Mal gestoppt. Für
die deutsche Bevölkerung bestand die Katastrophe nicht nur in
Trümmern, Hunger und Millionen Toten, sondern in der Tatsache, daß
es in seiner Mehrheit besiegt werden mußte, um die Chance zur
eigenen Befreiung zu erhalten.
Die Katastrophe für die deutsche Bevölkerung bestand und
besteht darin, das es in seiner Mehrheit Vollstrecker von
Vernichtungskrieg und Völkermord war, und das die Alliierten ihm
den Antifaschismus verordnen mußten. Wer allerdings die Niederlage
nicht als Chance für die eigene Befreiung verstand, der blieb und
bleibt nur besiegt.
Auch deshalb freue ich mich, daß wir heute so zahlreich hier
zusammengekommen sind, um der Millionen Menschen zu gedenken, die
den 8. Mai 1945 nicht mehr erlebten.
Wir gedenken den Millionen Menschen, Jüdinnen und Juden, Sinti
und Roma, geistig behinderten und psychisch kranken Menschen die im
zweiten Weltkrieg nach deutschen Plänen systematisch ermordet
wurden. Wir gedenken den Kommunistinnen und Kommunisten,
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Schwulen und Lesben,
Zeugen Jehovas den ZwangsarbeiterInnen und den vielen, vielen
anderen Menschen, die Widerstand leisteten und nicht überlebten,
die von den Nazis in Kriegsgefangenschaft genommen und ermordet
wurden.
Ganz herzlich möchte ich an dieser Stelle Roman Franz unter uns
begrüßen. Roman Franz ist aus Düsseldorf zu uns gekommen, um
heute über die Verfolgung der Sinti und Roma im Faschismus zu
berichten. Roman Franz ist Vorsitzender des Landesverbandes
deutscher Sinti und Roma in NRW. Er vertritt hier eine Opfergruppe,
die jahrzehntelang - ja bis heute- um ihre Anerkennung kämpfen
mußte. Die systematische Verfolgung der Sinti und Roma im
Faschismus soll heute im Mittelpunkt unserer Veranstaltung stehen.
Die historische Verfolgung hat jedoch auch eine aktuelle
Dimension. Auch in Münster ist Rassismus eine alltägliche
Tatsache, auch aus Münster werden beispielsweise Roma aus dem
ehemaligen Jugoslawien verfolgt und abgeschoben. Ihre Väter und
Mütter wurden von den Nazis gequält und ermordet, heute werden
ihre Kinder abgeschoben!
Auch 58 Jahre nach der Befreiung von Krieg und Faschismus ist
unser aller Engagement gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus
und Neofaschismus notwendig. (Auch in Münster mußten
antisemitische und antiamerikanische Töne in der aktuellen
Auseinandersetzung um den Irak- Krieg und in der Auseinandersetzung
um den Israel/Palästina Konflikt vernommen werden.)
Wenden wir uns am heutigen 8. Mai gegen diese Tendenzen!
|