02. November 2004
"Kein Tag vergeht, ohne dass die schreckliche
Erinnerung zurückkommt"
Zeitzeuge Jules Schelvis
berichtete über das Konzentrationslager Sobibor
Auschwitz-Birkenau
gilt weltweit als das Symbol für den Holocaust. Doch die Ermordung
der europäischen Juden fand nicht nur dort statt. Belezec, Sobibor
und Treblinka gehören zu den oftmals vergessenen Vernichtungslagern
des Holocaust. Unter dem Codenamen „Aktion Reinhard“ ermordeten
die Nationalsozialisten 1942 und 1943 dort über 1.5 Millionen
jüdische Menschen im heutigen Ostpolen.
Auf Einladung des AStA der Fachhochschule Münster, der ESG und
der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten Münster (VVN/BdA) war Jules Schelvis, Zeitzeuge und
Überlebender der faschistischen Konzentrationslager, am vergangenen
Dienstag in Münster zu Gast.
Jules
Schelvis las an diesem Abend aus seinem Buch „Sobibor“ (Unrast-Verlag).
Schelvis erzählte von seinem Leben als niederländischer Jude in
Amsterdam. Er berichtete von der Okkupation der Niederlande durch
die deutschen Faschisten, die Vernichtung Rotterdams und die
beginnende Judenverfolgung. Schelvis lebte mit seiner Frau in der
niederländischen Hauptstadt, als sie am 26. Mai 1943 aus ihrer
Wohnung in das Lager Westerbork deportiert wurden. Von Westerbork
ging es weiter in das Vernichtungslager Sobibor. In Viehwaggons
wurden die Menschen zusammengepfercht. „Der Zug, bestand aus einer
unüberschaubaren Reihe verschlossener Güterwagen, die insgesamt
3006 Personen fassten. In meinem befanden sich – meine Frau und
ihre Familie inbegriffen – 62 Personen und ein Kinderwagen.“
Unvorstellbare, menschenverachtende Bedingungen herrschten auf
diesen Transporten. Und am Ende bedeutete die Ankunft in Sobibor
für die allermeisten den Tod durch Vergasung.
Jules Schelvis selbst hatte Glück. Nur weil es ihm in letzter
Minute gelang, sich einer Gruppe von 80 Arbeitshäftlingen
anzuschließen, konnte er das Lager lebend verlassen. Nach
Aufenthalten in insgesamt zehn nationalsozialistischen
Konzentrationslagern, nach Schwerstarbeit und entwürdigen
Bedingungen, wird Schelvis im März 1945 von den Franzosen befreit.
Einen Schwerpunkt dieses Abends legte Schelvis auf die Ereignisse
in Sobibor. Schelvis ergänzte in seinem Bericht eigene Erlebnisse
in Sobibor durch Zeugenaussagen aus den Sobibor-Prozessen der
Nachkriegszeit und stellte detailliert die Geschichte des Lagers
sowie den historischen und politischen Hintergründe des Vernichtungslagers
Sobibor dar. Schelvis ging auch ausführlich auf die Selbstbefreiung
des Konzentrationslagers durch jüdische Häftlinge ein. Im Juli
1943 bildete sich eine Gruppe von Häftlingen, die einen Aufstand
planten, der dann im September 1943 umgesetzt wurde. Bei diesem
Aufstand konnten 300 Häftlinge fliehen, etwa zwölf SS- Männer
wurden von den Aufständischen umgebracht.
Dieser Aufstand in Sobibor ist ein Beispiel des in der
Öffentlichkeit häufig bestrittenen jüdischen Widerstandes gegen
den Faschismus. Der AStA der Fachhochschule und die VVN/BdA setzten
mit dieser Veranstaltung ihr Bemühen fort, die Auseinandersetzung
mit dem historischen Faschismus mittels Zeitzeugenberichten zu
fördern und daraus Konsequenzen für das aktuelle politische
Handeln zu entwickeln. Die Veranstalter haben sich eine Aussage
Schelvis sehr zu Herzen genommen: „Fest steht, wenn wir gestorben
sind, dann wird niemand mehr da sein um zu erzählen, wie es
wirklich war ... Ich finde es wichtig, dass jetzt noch mehr
deutschsprachige Menschen davon Kenntnis nehmen können, was in
Sobibor passiert ist“.
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