VEREINIGUNG DER VERFOLGTEN DES
NAZIREGIMES/
BUND DER ANTIFASCHISTINNEN UND ANTIFASCHISTEN
KREISVEREINIGUNG MÜNSTER
Münster, 02. November 2004
Stadt Münster
Oberbürgermeister Dr. Berthold
Tillmann
48127 Münster
Sehr geehrter Herr Dr. Tillmann, sehr
geehrte Damen und Herren.
Wir, Mitglieder der VVN/BdA Münster,
möchten mit diesem Brief Stellung nehmen zu den am 14.
November 2005 stattfindenden Veranstaltungen anlässlich des
Volkstrauertages, insbesondere zur Kranzniederlegung am
"Denkmal des Infanterie-Regiments Herwardt von
Bittenfeld" an der Promenade.
Seit vielen Jahren begleiten wir
Antifaschistinnen und Antifaschisten die Kranzniederlegung
am Volkstrauertag kritisch. Wir haben grundsätzliche Kritik
an Form und Inhalt dieses Gedenkens. Wir möchten Ihnen
heute unsere grundsätzliche Kritik erläutern, Sie jedoch
insbesondere, aus aktuellem Anlass, auf zwei Einzelheiten
hinweisen.
Hinweisen möchten wir Sie zum einen
auf das vom Bundesverteidigungsministerium im Februar 2004
erlassene Kontaktverbot (1) zum "Verband deutscher
Soldaten“ und seiner Nebenorganisationen und zum
anderen auf eine mögliche Beteiligung des
NPD-Funktionärs und Mitglieds in der münsterschen
Burschenschaft Franconia, Oliver Westerwinter, an der
Kranzniederlegung.
Beginnen möchten wir mit der Auseinandersetzung
mit dem "Verband deutscher Soldaten (VdS)/Ring
deutscher Soldatenverbände“. Zum besseren
Verständnis folgt ein kurzer geschichtlicher Abriss des VdS.
Der Verband deutscher Soldaten wurde
im September 1951 in Bonn von 50 Vertretern verschiedener
Soldatenbünde gegründet. Die wichtigsten Vereinigungen,
die sich hier zusammenschlossen, waren: Deutscher
Soldatenbund, Schutzbund ehemaliger deutscher Soldaten, Bund
ehemaliger deutscher Fallschirmjäger, Verband deutsches
Afrikakorps, Organisationen der Kraftfahrtruppen,
Traditionsgemeinschaft Großdeutschland und Stahlhelm-Bund
der Frontsoldaten; hinzu kamen Vertreter der Waffen-SS. 1954
schloß sich der Kyffhäuserbund an, der aber seine
Selbständigkeit weiterhin behielt. 1962 schloß sich dem
VdS der Bundesverband der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS
an. Sein Publikationsorgan ist die Zeitung "Soldat im
Volk“.
Mit dem Ziel der weiteren
Vereinheitlichung der Verbände wurde auf Bestreben des
VdS 1957 der Ring Deutscher Soldatenverbände (RDS)
gegründet. Als weiterer Schritt in diese Richtung erfolgte
die gemeinsame Herausgabe der Zeitung "Soldat im
Volk“ (SiV) (2).
Der Ring deutscher
Soldatenverbände ist nun in Münster, zusammen mit dem
"Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge“, Hauptveranstalter
der Kranzniederlegung am "Denkmal des
Infanterie-Regiments Herwardt von Bittenfeld”. Aus dem vom
Verteidigungsministerium erlassenen Kontaktverbot ergibt
sich jedoch die neue Situation, dass die Bundeswehr, die
sich ebenfalls an der Kranzniederlegung beteiligte, nicht
teilnehmen darf. Den anwesenden Vertretern der
Niederländischen und Britischen Armee ist unserer Meinung
nach ein Zusammenwirken mit dem VdS/RDS nicht zu zumuten.
Zum besseren Verständnis zitieren wir das
Verteidigungsministerium (3):
"Der Bundesminister der
Verteidigung hat am 16. Februar 2004 entschieden, dass die
Bundeswehr mit sofortiger Wirkung keine dienstlichen
Kontakte zum VdS und seinen Unterorganisationen mehr
unterhält. Der VdS hat in seiner Publikationsorgan
"Soldat im Volk“, Ausgaben 4 und 5 des Jahrgangs
2003 Texte des stellvertretenden Vorsitzenden des
Nationalsozialistischen Partei Amerikas unkommentiert und
unreflektiert veröffentlicht. Solche Veröffentlichungen
aus dem rechtsextremen Spektrum sind nicht hinnehmbar.
Veranstaltungen des VdS sind ab sofort nicht mehr zu
unterstützen.“
Sehr geehrter Herr Dr. Tillmann, der
RDS ist als eine Unterorganisation des VdS zu bezeichnen,
zudem ist der RDS Mitherausgeber der Zeitung "Soldat im
Volk“, in dem die o.g. Artikel erschienen sind. Die
Mitteilung des Ministeriums für Verteidigung lässt keinen
anderen Schluss zu, als die Kranzniederlegung am
Volkstrauertag abzusagen!
Natürlich ist es formal richtig, dass
nur Bundeswehrangehörige diesem Verbot unterliegen, jedoch
sollten Sie als offizieller Vertreter des Stadt Münster
diesen Inhalt sehr ernst nehmen. Die Situation, dass die
Bundeswehr nicht zusammen mit dem VdS/RDS am Gedenken
teilnehmen darf, die Stadt Münster jedoch die
Zusammenarbeit nicht beendet, ist unserer Meinung nach in
der demokratischen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln und
würde politisch ein völlig falsches Signal geben.
Zudem ist es so, dass nicht erst mit
dem Verbot des Verteidigungsministeriums Kritik am VdS
öffentlich wurde. Die VVN/BdA Münster hat schon vor fünf
Jahren auf rechtsextreme Verstrickungen im RDS hingewiesen.
Der in der Anlage 1 beigefügte Artikel des Internetdienstes
"blick nach rechts“ kommt zu ähnlichen
Einschätzungen. Zudem verweisen wir auf den ausführlichen
Artikel zum VdS (Anlage 6)
Kommen wir nun zum zweiten Anlass
unseres Briefes:
Seit Jahren beobachten wir, dass am
Gedenken anlässlich des Volkstrauertages verschiedene
Abordnungen münsterschen Studentenverbindungen teilnehmen.
Unter anderem auch die Burschenschaft Franconia. Seit April
2004 lebt der NPD-Kader und WWU-Student Oliver Westerwinter
im Burschenschaftshaus an der Himmelreichallee.
Oliver Westerwinter ist in der
Vergangenheit immer wieder in Zusammenhang mit der NPD und
deren Jugendorganisation, den "Jungen
Nationaldemokraten (JN)“ in der Öffentlichkeit in
Erscheinung getreten. An dieser Stelle einige Beispiele
des Wirkens Westerwinters in der neofaschistischen NPD:
-
Als Bundespressesprecher der
"Jungen Nationaldemokraten“ äußerte sich
Westerwinter im Oktober 2003 zu den Debatten um
Sozialreformen in der Bundesrepublik mit
nationalistischen und völkischen Tönen. (Anlage
3).
-
In einem Artikel der
Wochenzeitschrift "Jungle World“ wird
Westerwinter als Funktionär der JN zitiert. Er fordert
eine "national-revolutionäre Gesundheitspolitik“
und eine auf den "Erhalt der deutschen
Volksgemeinschaft ausgerichtete Bevölkerungspolitik“.
Die Familie müsse von der Politik "als höchster
Lebenswert der Menschen“ angesehen werden. Auch hier
wieder die bekannten nationalistischen und völkischen
Töne. (siehe Anlage 4)
-
In selbiger Funktion
kündigte Westerwinter im März 2004 eine
"nationalistische Schülerzeitungskampagne“ an,
in der es u.a. um das Erreichen einer
"Definitionsmacht“ über die Begriffe
"Nationalismus“ und "Heimat“ gehen soll.
(siehe Anlage 5)
Auch in NRW ist Westerwinter aktiv. So
gehörte er dem JN-Landesvorstand an. Im März diesen Jahres
rief Westerwinter, auf einer von ihm angemeldeten
Internetseite, zur Teilnahme an einem Naziaufmarsch gegen
den Neubau der Bochumer Synagoge in Bochum auf. Die NPD/JN
und sogenannte "Freie Kameradschaften“ mobilisierten
hier mit einer deutlich antisemitischen Argumentation. Der
NPD-Aufmarsch wurde damals vom OVG Münster verboten. Da
Westerwinter auf von ihm angemeldeten Internetseiten weiter
zu dem Aufmarsch mobilisierte, wurde von Seiten der
Ordnungsbehörden ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes
gegen das Versammlungsrecht angestrengt, und zudem wurden
seine Privaträume vom Staatsschutz durchsucht.
Es ist nun nicht auszuschließen, dass
in diesem Jahr, zusammen mit der Burschenschaft Franconia,
ihr Mitglied Oliver Westerwinter am Denkmal "Herwardt
von Bittenfeld“ für die Toten beider Weltkriege
"Wache“ hält. Es würde somit zu der Situation
kommen, dass sich die offiziellen Vertreter der Stadt
Münster von einem Neonazi "eskortieren“ lassen.
Eine absurde und nicht hinzunehmende Vorstellung. Zudem ist
nicht auszuschließen, dass auch Freunde von Westerwinter
aus dem neonazistischen Spektrum erscheinen werden.
Es reicht uns in diesem Zusammenhang
nicht aus, dass nur sichergestellt ist, dass Oliver
Westerwinter nicht teilnehmen wird, sondern die Burschenschaft
Franconia selbst ist Teil des Problems! Diese
Vereinigung muss sich der Frage stellen, warum sie einen
organisierten Neonazi bei sich aufnimmt. Aber nicht nur das.
So ist die Burschenschaft Franconia in letzter Zeit immer
wieder selbst durch nationalistische Töne aufgefallen,
beispielsweise solidarisierte sich die Verbindung mit dem
ehemaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann und seinen
antisemitischen Ausfällen. Die Burschenschaft Franconia ist
zudem organisiert in dem Dachverband der "Deutschen
Burschenschaften“ (DB). Aus diesem Dachverband sind
ebenfalls nationalistische und antisemitische Aussagen zu
vernehmen.
Auch die Zusammenarbeit/Duldung der
Franconia mit neofaschistischen Kräften ist ein weiterer
Grund, die Kranzniederlegung abzusagen!
Mit unserer kritischen
Auseinandersetzung mit der Burschenschaft Franconia sind wir
auch mitten in unserer grundsätzlichen Kritik an Form
und Inhalt des Gedenkens am Volkstrauertages angelangt.
Wir verstehen nicht, warum die Kranzniederlegung an einem
Kriegerdenkmal stattfindet und warum dieses Gedenken so
maßgeblich von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen geprägt
ist.
Ein Gedenken an die Toten beider
Weltkriege wird von uns nicht kritisiert, im Gegenteil,
wir halten eine Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen
beider Weltkriege, besonders auch für die "jüngere
Generation“, für notwendig.
So ist auch das offene Gedenken
Hinterbliebener von Kriegstoten nicht Gegenstand unserer
Kritik. Nur darf unserer Meinung nach ein Gedenken an die
Weltkriege nicht losgelöst von einem Bekenntnis
stattfinden, dass es große Teile der deutschen Bürgerinnen
und Bürger waren, die Hitler und die Nationalsozialisten an
die Macht gebracht haben, dass es eine große
Kriegsbegeisterung in weiten Teilen der Landes gab. Erste
militärische Erfolge wurden umjubelt. Und um die
deportierten Juden, Sinti und Roma, die ermordeten oder
verhafteten Sozialdemokraten, Kommunisten oder engagierten
Christen kümmerte man sich nicht, im Gegenteil, das
Eigentum dieser Menschen wurde unter den "arischen“
Bürgerinnen und Bürger aufgeteilt.
Ein Gedenken am Volktrauertag muss
auch thematisieren, dass beide Weltkriege von Deutschland
begonnen wurden, dass es deutsche Soldaten waren, die
andere Menschen und Länder überfallen haben, die Menschen
unterdrückten und versklavten. Dass es deutsche Soldaten
waren, die an massiven Menschenrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen beteiligt waren. Hierzu darf eine
Veranstaltung am Volkstrauertag nicht schweigen!
Erst als der Krieg nicht mehr zu
gewinnen war, als deutsche Städte bombardiert wurden,
drehte sich die Stimmung im sogenannten "Dritten Reich“.
Und 60 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und Krieg
durch die Armeen der Sowjetunion, der Amerikaner, Franzosen,
Engländer, Kanadier und vielen anderen Alliierten machen
sich nun die Bombenkriegsopfer und die Vertriebenen zu den
eigentlichen Opfern des Krieges. Und genau diese Inhalte,
diese Geschichtsumdeutung finden wir in dem Gedenken am
Volkstrauertag am Denkmal "Herman von Bittenfeld“
wieder.
Aber diese Veranstaltung am
Kriegerdenkmal ist nicht alternativlos. Seit Jahren
bemühen wir uns von der VVN/BdA, an diesem Tag ein antifaschistisches
Gedenken zu organisieren. Und dies nicht ohne Erfolg.
Auf unseren Veranstaltungen konnten wir u.a. Ludwig Baumann
begrüßen. Baumann ist Vorsitzender einer Vereinigung der
NS-Militärjustitzopfer und Wehrmachtsdeserteur. Wir haben
mit der Westfälischen Klinik für Psychiatrie den Opfern
der NS-Psychiatrie gedacht oder uns mit dem Thema
Zwangsarbeit in Münster auseinander gesetzt. Im vergangenen
Jahr berichtete der Vorsitzende des Ausländerbeirates der
Stadt Münster, Spyros Marinos, über die faschistische
Besatzung seiner griechischen Heimat und über Verbrechen
der Wehrmacht in Griechenland.
Auch in diesem Jahr werden wir
wieder zu einer Gedenkveranstaltung an den Zwinger einladen.
Sehr geehrter Herr Dr. Tillmann, wir
möchten diesen Brief nicht beenden, ohne unsere
Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Wir sind bereit,
zusammen mit anderen Gruppen und der Stadt Münster über
eine Neugestaltung des Gedenkens am Volkstrauertag
nachzudenken. Wir halten diese Neugestaltung für
dringend notwendig. Eine weitere Zusammenarbeit der Stadt
Münster mit dem Ring Deutscher Soldatenverbände ist für
uns nicht denkbar.
Wir werden diesen Brief auch den
Fraktionen im Rat der Stadt Münster zusenden. Wir bedanken
uns für ihre Aufmerksamkeit.
Mit antifaschistischen und
freundlichen Grüßen!
Stefan Proske
(Sprecher der VVN/BdA Münster)
(1) siehe Anlage 1: www.bnr.de Ausgabe
09/2004
(2) siehe Anlage 6: eine Kopie einer
Titelseite des "Soldat im Volk“ aus: "Der
Verband deutscher Soldaten – Holocaust-Leugner bei der
Bundeswehr" von Kurt Heiler, erschienen in der
Broschüre: "Der deutsche Militarismus ist nicht tot,
er riecht nur streng“. Hrsg. VVN/BdA NRW
(3) siehe Anlage 2: wir haben die
Originalmitteilung – zitiert auf der Internetseite der
Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. Hamburg
– gefunden. Die Anmerkung der SWG gibt einen Eindruck der
nationalkonservativen Ausrichtung dieser Organisation. |