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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Kreisvereinigung Münster

 

10. November 2004

Zweiter offener Brief an Oberbürgermeister Berthold Tillmann zum Volkstrauertag 

Aus gegebenem Anlass formulierte die VVN-BdA Münster am 10. November 2004 ein zweites Schreiben an den Oberbürgermeister:

VEREINIGUNG DER VERFOLGTEN DES NAZIREGIMES/
BUND DER ANTIFASCHISTINNEN UND ANTIFASCHISTEN
KREISVEREINIGUNG MÜNSTER

Münster, 10. November 2004

Stadt Münster 
Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann
48127 Münster

Sehr geehrter Herr Dr. Tillmann, sehr geehrte Damen und Herren.

Mit diesem Schreiben möchte ich im Namen der VVN/BdA nochmals Stellung nehmen zu dem Thema Volkstrauertag und dem Ring Deutscher Soldatenverbände.

In den letzten Tagen sind einige Unklarheiten bezüglich des Zusammenhangs zwischen dem Ring Deutscher Soldatenverbände (RDS) zu Münster und dem Ring Deutscher Soldatenverbände (Sitz Bonn) aufgetreten. Es gibt nun Angaben, dass der RDS zu Münster aus dem Bundesverband ausgetreten sei, andere Quellen behaupten, dass die Münsteraner überhaupt nie dort Mitglied gewesen sind. Wir werden diesen Sachverhalt nicht mehr endgültig bis zum Volkstrauertag klären können. Aber letztlich ist dies auch unerheblich.

Jetzt jedoch den Schluss zu ziehen, dass unsere Argumentation bezüglich des "Kontaktverbotes" und der fehlenden Abgrenzung zu extrem rechten Kreisen gegenstandslos sei, dies wäre nicht nur verfrüht, sondern schlicht falsch. Wir möchten dies kurz begründen:

In der Broschüre "40 Jahre Volkstrauertag in Münster", herausgegeben vom RDS zu Münster, beschreibt der derzeitige Vorsitzende des RDS zu Münster, Klaus Höhn, die Entstehung seiner Organisation und deren Geschichte. Die Gründung der Vorläuferorganisation des heutigen RDS zu Münster wird für das Jahr 1960 angegeben. Ein Jahr später, im Jahr 1961, wird der Verband deutscher Soldaten (VdS) Mitglied im RDS zu Münster. Im Folgenden werden zahlreiche Ereignisse aus dem VdS in der genannten Broschüre erwähnt. Zum Beispiel hat ein damaliger Vorsitzender des VdS schon einmal die Gedenkrede am Volkstrauertag gehalten. Ein ehemaliger Vorsitzender des VdS wird beispielsweise im Jahr 1998 Ehrenmitglied im RDS zu Münster. In der genannten Broschüre finden sich einige weitere Anhaltspunkte, die eine enge Bindung zwischen VdS und RDS zu Münster aufzeigen. Die genannte Broschüre endet mit einem Eintrag für das Jahr 2001. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich die Situation, dass der Verband deutscher Soldaten Mitglied im RDS zu Münster ist. Gegen den VdS wurde das "Kontaktverbot" seitens des Verteidigungsministeriums erlassen. Es ist richtig, dass der RDS zu Münster nicht direkt vom Kontaktverbot betroffen ist, jedoch indirekt durch die Mitgliedschaft des Verband deutscher Soldaten im RDS zu Münster.

Wir Antifaschistinnen und Antifaschisten in der VVN/BdA bleiben bei unserer eindringlichen Forderung, die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen, also dem Verband deutscher Soldaten und dadurch auch zum RDS zu Münster zu beenden.

In der besagten Broschüre finden sich weitere zahlreiche Hinweise auf die politische Ausrichtung des RDS zu Münster. Gründungsmitglied des RDS zu Münster war unter anderem auch die HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS). Diese Organisation wurde jahrelang (nicht nur) vom Verfassungsschutz als rechtsextrem gekennzeichnet. An den Veranstaltungen zum Volkstrauertag haben Vertreter der neofaschistischen NPD teilgenommen und Kränze niedergelegt. In der politischen Auseinandersetzung um Themen wie beispielsweise die Errichtung des Mahnmals "Zwinger" oder der sogenannten "Wehrmachtsausstellung“ wird immer wieder die fehlende Bereitschaft deutlich, auch über die Verbrechen der Wehrmacht sprechen zu wollen und selbige anzuerkennen.

Wir sind weiterhin der Auffassung, dass der RDS zu Münster kein legitimer Bündnispartner für die Stadt Münster sein darf. Aufgrund der politischen Orientierung des RDS zu Münster auch unabhängig von dem Kontaktverbot!

Wir sind weiterhin nicht damit einverstanden, dass das Gedenken am Volkstrauertag maßgeblich von ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht geprägt wird. Wir sind nicht damit einverstanden, mit einem Verband konfrontiert zu werden, der jegliche Trennlinien auch zu rechtsextremen Organisationen vermissen lässt. Wir erinnern noch einmal an Aussagen aus unserem ersten Brief zu diesem Thema:

Ein Gedenken an die Toten beider Weltkriege wird von uns nicht kritisiert, im Gegenteil, wir halten eine Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen beider Weltkriege, besonders auch für die "jüngere Generation“, für notwendig.

So ist auch das offene Gedenken Hinterbliebener von Kriegstoten nicht Gegenstand unserer Kritik. Nur darf unserer Meinung nach ein Gedenken an die Weltkriege nicht losgelöst von einem Bekenntnis stattfinden, dass es große Teile der deutschen Bürgerinnen und Bürger waren, die Hitler und die Nationalsozialisten an die Macht gebracht haben, dass es eine große Kriegsbegeisterung in weiten Teilen der Landes gab. Erste militärische Erfolge wurden umjubelt. Und um die deportierten Juden, Sinti und Roma, die ermordeten oder verhafteten Sozialdemokraten, Kommunisten oder engagierten Christen kümmerte man sich nicht, im Gegenteil, das Eigentum dieser Menschen wurde unter den "arischen“ Bürgerinnen und Bürger aufgeteilt.

Ein Gedenken am Volktrauertag muss auch thematisieren, dass beide Weltkriege von Deutschland begonnen wurden, dass es deutsche Soldaten waren, die andere Menschen und Länder überfallen haben, die Menschen unterdrückten und versklavten. Dass es deutsche Soldaten waren, die an massiven Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen beteiligt waren. Hierzu darf eine Veranstaltung am Volkstrauertag nicht schweigen!

Erst als der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, als deutsche Städte bombardiert wurden, drehte sich die Stimmung im sogenannten "Dritten Reich“. Und 60 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und Krieg durch die Armeen der Sowjetunion, der Amerikaner, Franzosen, Engländer, Kanadier und vielen anderen Alliierten machen sich nun die Bombenkriegsopfer und die Vertriebenen zu den eigentlichen Opfern des Krieges. Und genau diese Inhalte, diese Geschichtsumdeutung finden wir in dem Gedenken am Volkstrauertag am Denkmal "Herman von Bittenfeld“ wieder.

Aber diese Veranstaltung am Kriegerdenkmal ist nicht alternativlos. Seit Jahren bemühen wir uns von der VVN/BdA, an diesem Tag ein antifaschistisches Gedenken zu organisieren. Und dies nicht ohne Erfolg. Auf unseren Veranstaltungen konnten wir u.a. Ludwig Baumann begrüßen. Baumann ist Vorsitzender einer Vereinigung der NS-Miltärjustizopfer und Wehrmachtsdeserteur. Wir haben mit der Westfälischen Klinik für Psychiatrie den Opfern der NS-Psychiatrie gedacht oder uns mit dem Thema Zwangsarbeit in Münster auseinander gesetzt. Im vergangenen Jahr berichtete der Vorsitzende des Ausländerbeirates der Stadt Münster, Spyros Marinos, über die faschistische Besatzung seiner griechischen Heimat und über Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland.

Auch in diesem Jahr werden wir wieder zu einer Gedenkveranstaltung an den Zwinger einladen.

Sehr geehrter Herr Dr. Tillmann, wir möchten auch diesen Brief nicht beenden, ohne unsere Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Wir sind bereit, zusammen mit anderen Gruppen und der Stadt Münster über eine Neugestaltung des Gedenkens am Volkstrauertag nachzudenken.

Wir halten diese Neugestaltung für dringend notwendig. Eine weitere Zusammenarbeit der Stadt Münster mit dem Ring Deutscher Soldatenverbände ist für uns nicht denkbar.

Mit antifaschistischen und freundlichen Grüßen!

Stefan Proske 
(Sprecher der VVN/BdA Münster)