07. November 2010
Ende der 70er Jahre: Nazis in Münster und eine
Stadt schaut weg
Broschüre der VVN-BdA Münster
aus dem Jahr 1980 rekonstruiert
Ende der 70er Jahre trieben Neonazis in Münster und im
Münsterland ihr Unwesen. Antifaschistinnen und Antifaschisten
wurden bedroht, Hakenkreuze ans Rathaus gesprüht und gar ein
Anschlag auf den Longinusturm in Nottuln verübt, um die
Ausstrahlung der Holocaust-Reihe im Fernsehen zu verhindern. Auf
dem rechten Auge blind Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik
sahen dem Treiben zu, ohne Einhalt zu gebieten. Als
Antifaschistinnen und Antifaschisten den damaligen
Oberbürgermeister Pierchalla besuchten, um eine Petition gegen
diese neofaschistischen Umtriebe mit 1.000 in kürzester Zeit
gesammelter Unterschriften zu übergeben, erklärte dieser, er wolle
sich als "nützlichen Idioten" vor den Karren von
Kommunistinnen und Kommunisten spannen lassen: "Er schloß
seinen Monolog mit der ungeheuerlichen Unterstellung, die
Nazischmierereien könnten schließlich auch von Kommunisten
angebracht worden seien, damit die Kommunisten einen Anlaß hätten,
gegen angebliche Nazis vorzugehen", so in der Broschüre. Verfahren
wurden meistens eingestellt Die Verfahren gegen Neonazis wurden zu
meist eingestellt: Von 130 Verfahren führten "lediglich
sechs (!) Verfahren" zu einem rechtskräftigen urteil oder
einem Strafbefehl. Dagegen
wurde antifaschistischer Protest kriminalisiert "Die
Nachlässigkeit, mit der die Behörden unserer Stadt gegen
neonazistische Umtriebe ermitteln, steht in einem bezeichnenden
Kontrast zur Akribie und Strenge, mit der sie gegen Antifaschisten
operieren: Mitte Juli 1978 fand am Servatii-Hochhaus
in Münster eine von Bund demokratischer Wissenschaftler und dem
Arbeitskreis Umwelt durchgeführte Protestkundgebung gegen die
Pläne der Landesregierung statt, in NRW noch mehr Atomkraftwerke zu
bauen (Landesentwicklungsplan VI). Für den gleichen
Ort und zur gleichen Zeit hatte die Stadt Münster kurzfristig einer
Gruppe von Alt- und Neonazis einen Informationsstand genehmigt.
Offensichtlich spekulierte man von Seiten der Stadt bewußt auf eine
Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen, um dieses dann
propagandistisch ausnutzen zu können. Die Kundgebungsteilnehmer
gegen den Landesentwicklungsplan VI fühlten sich zu Recht
provoziert, zumal der Stand der „Hilfsgemeinschaft Freiheit für
Rudolf Hess“ den genehmigten Platz für die Abschlußkundgebung
der Kernkraftwerkgegner versperrte. Es kam zu Auseinandersetzungen
und von Seiten der Nazis zu Anzeigen gegen die zwei
Kundgebungsteilnehmer Ewald Halbach und Christoph Matschinski. In
der ersten Instanz verurteilte das Amtsgericht Münster die beiden
wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu
einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 bzw. 15 DM." Diese
Verurteilung konnte später durch antifaschistischen Protest und die
Widerlegung der Behauptungen der Neonazis durch den die
Antifaschisten vertretenden Anwalt in der Berufungsinstanz
aufgehoben werden. Antifaschisten wurden aber auch mit
Berufsverboten belegt. Ausführlich wird der Fall eines
Antifaschisten dokumentiert, der in der "Münsterschen
Zeitung" einen Leserbrief geschrieben hatte, um dagegen zu
protestieren, dass Politik und Verwaltung erst nach einer
"Odyssee" aktiv wurden, um das oben erwähnte Hakenkreuz
vom Rathaus zu entfernen: "Am Ende einer langen
Telefon-Odyssee, am Spätnachmittag endlich, kam dann die Feuerwehr,
um das Terrorsymbol am Rathaus zu entfernen." Dieser
Leserbriefschreiber konnte erst vor dem Arbeitsgericht das gegen ihn
verhängte Berufsverbot aufheben lassen. Zum Stand der Broschüre
war das Verfahren in zweiter Instanz anhängig: "Nur eine
breite Solidaritätsbewegung mit Ch. Sann wird dies verhindern und
den ersten Erfolg vor dem Arbeitsgericht Münster sichern können",
so das Fazit der Broschüre. Nazis an
der Uni Abschließend thematisiert die Broschüre das
neofaschistische Treiben an der Uni Münster. Auch hier wurden
Dozenten und Studenten durch Studenten aus dem Umfeld des "Ring
freiheitlicher Studenten" bedroht und verprügelt. Die
Broschüre kann hier
heruntergeladen werden (PDF, 1,6 MB).
|