14. November 2004
Antifaschistische Gedenkveranstaltung am
"Volkstrauertag" und die Auseinandersetzung mit dem
öffentlichen Gedenken der Stadt Münster
Auch
in diesem Jahr folgten vor allem jüngere Menschen und Mitglieder
antifaschistischer Gruppen der Einladung der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten Münster und gedachten am Zwinger den oftmals
vergessenen Opfer der faschistischen Willkürherrschaft.
Zum mittlerweile sechsten Mal organisierten die Antifaschisten
eine Veranstaltung anlässlich des Volkstrauertages und sehen dieses
Gedenken vor allem als einen Beitrag zur kritischen
Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen beider Weltkriege.
Am Gedenkstein am Zwinger legte die VVN/BdA einen Kranz nieder.
Gedenkansprache der VVN-BdA
Münster zum Volkstrauertag vor dem Zwinger
Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
was und wem wird eigentlich am Volkstrauertag gedacht? Bei dem
öffentlichen Gedenken hier in Münster wird den Opfern von Krieg
und Gewalt gedacht.
Doch wer gedenkt dort? Wer sind die Opfer? Der Ring deutscher
Soldatenverbände, der Verband deutscher Soldaten und reaktionäre
Burschenschaften, wie die Franconia, gedenken dort den getöteten
Mitgliedern ihrer Verbände und Vereinigungen. Sie stehen dort
natürlich auch für die Täter des 2. Weltkrieges.
Kann denn ein Gedenken, das ja eigentlich für alle Opfer des
Krieges vorgesehen sein sollte, mit der Teilnahme ehemaliger Täter
und deren Vereinigungen leben? Ich und wir alle sind der Meinung:
Nein.
Darum
stehen wir heute hier und wollen aller Opfer von Krieg und
Faschismus gedenken. Schon seit Jahren stehen wir hier für eine
Änderung dieses offiziellen Gedenkens in Münster ein und richten
danach auch unsere eigenen Gedenken aus, ob nun am 8. Mai - dem
Kriegsende - oder dem Volkstrauertag. Wir stehen hier für eine
Beteiligung aller Opfergruppen.
Die beim heutigen öffentlichen Gedenken in unserer Stadt gerne
vergessenen Personengruppen sind die Jüdinnen und Juden, Sinti und
Roma, die Opfer aus Osteuropa, die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter, die Schwulen und Lesben, die Kommunistinnen und
Kommunisten, Wehrmachtsdeserteure, Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten, Anarchistinnen und Anarchisten,
GewerkschafterInnen, die Opfer der Euthanasie und die Zeugen
Jehovas. Sie alle wurden im 2. Weltkrieg nach deutschen Plänen
systematisch ermordet. Ihnen allen sollten wir heute gedenken und
nicht nur gefallenen Soldaten. Darum ist dieses alternative Gedenken
hier und heute am Zwinger wichtig.
Wie ich eingangs schon erwähnte: Das offizielle Gedenken der
Stadt Münster wird unter Beteiligung von den ehemaligen Tätern und
ihrer Organisationen ausgerichtet. Wer sind diese Leute? Der
Verband deutscher Soldaten (Mitglied im Münsteraner RDS) wurde von
der Bundeswehr mit einem Kontaktverbot belegt wegen rechtsradikaler
Artikel in der Verbandszeitung. Darauf wurde die Stadt von uns
bereits hingewiesen. Das Gedenken findet jedoch trotzdem gegen alle
Bedenken mit deren Beteiligung statt. Weiterhin sind beim dortigen
Gedenken auch Burschenschaften vertreten, wie z.B. die Franconia
Münster. Auf die Burschenschaften und ihre Verbindungen zum
Nationalsozialismus möchte ich im jetzt folgenden Teil meiner Rede
näher eingehen.
Schon in der Weimarer Zeit standen die Burschenschaften der
Republik ablehnend gegenüber. Dies entstand aus ihrer
reaktionär-monarchistischen Grundhaltung. Die schwarz-rot-goldene
Republikfahne wurde damals von ihnen nicht anerkannt, obwohl sie bei
der deutschen Revolution von 1848 unter dieser Fahne kämpften. Sie
flaggten weiter in den alten Reichsfarben. Die fronterfahrenen
Studenten unter ihnen sammelten sich in paramilitärischen
Verbänden, wie dem Freikorps. Im März 1919 wurden diese Verbände
vom preußischen Kulturminister Konrad Haenisch aufgefordert
Deutschland gegen die Flut des Bolschewismus zu verteidigen, was
diese gerne taten. Das fußte aber keinesfalls in einem Willen zur
Durchsetzung und Verteidigung bürgerlich-demokratischer Werte.
Sondern es ging ihnen nur darum: "Die Weimarer Republik wegen
ihrer Verbindung mit dem jüdischen Volk und wegen der Festlegung
auf den parlamentarischen Mechanismus der Parteien
zurückzudrängen." (Zitat aus Burschenschaftlichen Blättern
von 1923)
Diese antisemitischen und antidemokratischen Ansichten spornten
die beteiligten Studenten und Burschenschafter an zu den blutigen
Auseinandersetzungen und Verbrechen der Folgejahre. Im März 1920
beteiligten sich über 50.000 Studenten, darunter auch viele
Burschenschafter, am Kapp-Putsch. Es sollte gewaltsam eine
Militärdiktatur gegen die gewählte Reichsregierung durchgesetzt
werden. In vielen Städten gab es Pläne von Burschenschaftern
öffentliche Einrichtungen und jüdische Banken zu besetzen und alle
öffentlichen Gelder zu beschlagnahmen. Der Putschversuch konnte nur
durch einen Generalstreik verhindert werden.
Ebenfalls 1920 bildeten Burschenschafter die ideologische
Speerspitze der beginnenden nationalsozialistischen Bewegung. Der
Volksgedanke, Antisemitismus und Rassenideologie waren Grundlage der
Vereinigung der Burschenschaften zum Dachverband „Deutsche
Burschenschaft“. Im gleichen Jahr beschloss der Burschentag in
Eisenach ein Aufnahme- und Heiratsverbot von JüdInnen und Farbigen.
Es folgten Diskussionen über die Überfremdung an deutschen
Hochschulen und die Einrichtung eines Lehrstuhls zu Rassefragen. Es
wurden antisemitische Hetzschriften ausgegeben und es kam bereits
hier zu tätlichen Übergriffen auf Jüdinnen und Juden.
Diese politischen Weltanschauungen ließ viele Burschenschafter
Mitglied werden im „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“.
Eine Sammelbewegung für Antisemiten und Republikfeinde mit rund 200
000 Mitgliedern. In Folge von Demonstrationen dieses Bundes kam es
zu Ausschreitungen, Plünderungen und Überfällen, sogar zu
Misshandlungen von jüdischen BürgerInnen und politischen
GegnerInnen. Auch Aufrufe zum politischen Mord und Beteiligung an
Attentaten gehörten zu deren Repertoire, was im Jahr 1923 zu der
Auflösung dieses Bundes wegen terroristischer Aktivitäten führte.
Die Burschenschafter wirkten schon früh an dem Aufbau
nationalsozialistischer Organisationen mit. Sie beteiligten sich
auch in großer Zahl an dem Putschversuch von Adolf Hitler im Jahr
1923 oder unterstützten ihn zumindest. Bei der Ernennung Hitlers
zum Reichskanzler schaltet sich die deutsche Burschenschaft
freiwillig gleich um beim Aufbau des 3. Reiches zu helfen. Die
Franconia Münster hatte damals den Vorsitz in der DB und begründet
die Gleichschaltung mit den nationalsozialistischen
Leitvorstellungen des Verbandes:
„Grundlage für die Neuordnung der Deutschen Burschenschaft
ist die geistige Einstellung des Burschenschafters zu Volk und
Nation, die stets und immer eindeutig mit dem Bekenntnis zum
Aufbau des Dritten Reiches festgelegt ist. [...] Der in der
Verfassung der Deutschen Burschenschaft festgelegte Innenaufbau
der DB gestattete nur im beschränkten Maße einen politischen
Einsatz der DB. Von den Unterzeichneten wurde daher die unbedingte
Notwendigkeit einer völligen Neugliederung des Gesamtverbandes
erkannt.“
Bei soviel Zustimmung und Bereitschaft zur Zusammenarbeit
verwundert es auch nicht, dass sich 1935 die DB selbst auflöst und
überführt wird in den NS-Studentenbund. Kurz zuvor kam es zwar zum
Bruch zwischen dem DB-Führer Glauning und dem Staatssekretär
Lammers, aber nur aus dem Grund weil Glauning der
nationalsozialistische Umbau der DB nicht schnell genug ging.
Fazit des geschichtlichen Ausfluges ist: Die deutschen
Burschenschafter während der NS-Zeit sind Vorgänger, Wegbereiter
und Weggefährten des Nationalsozialismus gewesen, also einfach
aufrechte Nazis. Nur ob diese Aussage wirklich allein auf die
Vergangenheit bezogen bleiben muss, ist noch festzustellen.
Innerhalb der jetzigen DB, gibt es über Jahrzehnte schon
Auseinandersetzungen zwischen konservativen und rechtsextrem
ausgerichteten Burschenschaften um die Vorherrschaft in diesem
Dachverband.
Seitdem 1996 acht konservative Burschenschaften die NDB
gegründet haben, verschieben sich die Machtverhältnisse zugunsten
der Rechtsextremen. Damit sie endgültig Mehrheiten verfestigen
können suchen rechtsextreme Burschenschaften Jungnazis, um sie als
Mitglieder zu werben. Dies wird in Zeitschriften, wie der Jungen
Freiheit oder noch beliebter der neofaschistischen Nation und Europa
getan. Bekennende Nazis wie Horst Mahler sind gern gesehene Gäste
in Burschenschaftshäusern. Ob der NPD-Kader Oliver Westerwinter,
der sich von April diesen Jahres an zumindest einige Monate im Haus
der Franconia aufhielt, auch durch eine Zeitungsanzeige dorthin kam,
wäre eine interessante Frage. Aber wer beantwortet sie? Die
Burschis der Franconia fallen hier zumindest auf durch spontane
Beifallsbekundungen per Flugblatt zu Martin Hohmanns antisemitischen
Äußerungen und wohl auch dem Trällern von SA-Liedern.
Es bleibt festzuhalten, dass einige Teilnehmer des
öffentlichen Gedenkens der Stadt Münster auf sehr rechte
Traditionen zurückblicken und sie teilweise heute noch leben. Es
darf nicht sein, dass diese Gruppen weiterhin ein öffentliches
Gedenken dominieren oder auch nur dort teilnehmen. Darum stehen wir
heute hier um allen Opfern von Krieg und Faschismus zu gedenken.
Ich danke Euch für Euer Zuhören.
Es sprach für die VVN-BdA Münster: Detlef Lorber
Volkstrauertag Münster 2004:
Offener Brief an Oberbürgermeister Berthold Tillmann vom 2.
November 2004
Am 14. November 2004 wurde anlässlich des Volkstrauertages - wie
in jedem Jahr - eine Kranzniederlegung am "Denkmal des
Infanterie-Regiments Herwardt von Bittenfeld" an der Promenade
durchgeführt. Diese u.a. vom „Ring Deutscher Soldatenverbände“/„Verband
deutscher Soldaten" organisierte Veranstaltung begleiten wir
Antifaschistinnen und Antifaschisten seit vielen Jahren kritisch.
Aus aktuellem Anlass forderten wir, die VVN-BdA Münster, vom
Oberbürgermeister der Stadt Münster:
- die Absage einer Teilnahme von Vertreter/innen der Stadt
Münster an der Kranzniederlegung auf Grund der rechtsextremen
Ausrichtung des „Ring Deutscher Soldatenverbände“/„Verband
deutscher Soldaten" und wegen einer mögliche Beteiligung
des NPD-Funktionärs und Mitglieds der Burschenschaft Franconia,
Oliver Westerwinter, an der Veranstaltung
Darüber hinaus forderten wir von der Stadt Münster:
- ein Gedenken an die Toten beider Weltkriege unter
Berücksichtigung der Verantwortung Deutschlands für den Krieg
und der Beteiligung der deutschen Wehrmacht an den Verbrechen
des Faschismus
- eine grundsätzliche Neugestaltung des Gedenkens am
Volkstrauertag im Sinne des antifaschistischen Konsens des
Grundgesetzes
Hier die offenen Briefe an Oberbürgermeister Tillmann:
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