Die Vorgeschichte
Genau vor vier Jahren wurde mir ein Film vom finnischen Regisseur Petri Luukkainen empfohlen. Der Film hieß „My Stuff“ und dokumentierte einen Versuch, den echten Wert der Dinge zu erkennen.
Wie genau lief diese Versuch? Ziemlich radikal: Als Vorbereitung zum Experiment räumte Petri seine Wohnung leer, sperrte seinen ganzen Besitz in ein Lagerhaus und stellte eine Paar Regeln auf: ein Jahr lang durfte er nur einen Gegenstand pro Tag zurück holen und dazu auch nichts neues kaufen. Warum hat er sowas gemacht? Er brauchte Platz zum Nachdenken, warum er nicht glücklich war… Seit seine Freundin ihn verlassen hat, hat Petri zwar alles gekauft, was er wollte, wurde aber nicht glücklich davon.
Der Film kam 2013 raus und wurde weltbekannt. Auch dieser Film inspirierte einen deutschen Regisseur Florian David Fitz zu dem Film „100 Dinge“ (2018) – wahrscheinlich kennen die meisten von euch zumindest die Plakate (mit nackten bekannten Schauspielern) oder haben den Film gar gesehen. Die Filme haben zwar ein Paar ähnliche Szenen, sollten aber auf jeden Fall getrennt voneinander betrachtet werden.
Das Original, also „My Stuff“, ist auf jeden Fall anschauenswert für alle, die sich für Zero Waste und Minimalismus interessieren, oder sich einfach schon mal die Frage gestellt haben „Was ist eigentlich im Leben das wichtigste?“.
Mein Experiment von 2016
So, long story short, der Film wurde mir empfohlen und kurz darauf hab ich ihn mir angesehen. Der Film war so spannend, dass ich mich in den darauffolgenden zwei Tagen entschieden habe, das Experiment von Petri auf irgendeine Art und weise nachzumachen. Nach einer kurzen Überlegung, habe ich das Experiment nur auf Kleidung und Schuhen beschränkt und musste deswegen auch kein Lagerhaus mieten, sondern habe meine Kleidung und Schuhe in Kartons eingepackt und so in den Kleiderschrank gestellt.
Glücklicherweise – vermutlich weil ich gerne schreibe – habe ich mich damals dafür entschieden, ein Tagebuch darüber zu führen, wie das Experiment läuft. (Vor einigen Tagen ist mir das Buch beim Aufräumen wieder in die Hände gefallen und ich habe mich plötzlich an das Experiment erinnert.)
Angefangen habe ich am 24.07.2016 mit einer kleinen Anpassung von Petris Regeln:
„Da der erste Tag meines Experimentes auf Montag fällt und ich arbeiten muss, habe ich mich entschieden, dass ich nur 7 Sachen lasse, die ich tragen kann und den Rest wegpacke. Diese 7 Sachen kompensiere ich dann dadurch, dass ich in den ersten zwei Wochen nur jeden 2. Tag etwas rausnehme. “
Seit dem Tag habe ich abends alles per Hand gewaschen, was am nächsten Tag frisch sein musste und das Juliwetter sorgte dafür, dass alles am nächsten morgen tatsächlich trocken war. Der Sommer eignete sich für so einen Experiment einfach perfekt!
Das Experiment lief bei mir 58 Tage und endete am 21.09. mit meinen Flitterwochen. Ich denke, dass das eine gute Entschuldigung ist und 58 Tage für einen ersten Versuch ein gutes Resultat ist. Leider habe ich nicht die ganze Zeit Tagebuch geführt, habe aber trotzdem ein Paar lustige Geschichten gefunden: beispielsweise über vom Freund ausgeliehene Socken oder ein Dankbarkeitslied an die Existenz des Gürtels. Oder auch einfach:
„Was tut man, wenn man gerade alle Sachen gewaschen hat, die man besitzt, ein Hemd ausgeliehen hat, im Regen voll nass geworden ist und nur einen ausgeliehen Bademantel hat – andere Sachen sind klatschnass??? Nie wieder alles auf einmal waschen!“ 😀
Bei einigen Sachen, die ich dazu genommen habe, bei denen ich gemerkt habe, dass die mir nicht mehr gefallen, habe ich schon während des Experimentes aussortiert. Und beim Blättern des Tagebuchs merkte ich gestern, dass ich einiges davon nicht mehr besitze und mir eigentlich nicht vorstellen kann, warum ich diese Dinge damals ausgewählt habe. Bei anderen Sachen musste ich lachen, denn das sind immer noch meine Lieblingssstücke.Das Experiment ergab für mich auch eine positive Nebenwirkung:
Weil ich mich täglich mit der Frage „was brauche ich“ beschäftigt habe, ist es mir einfacher gefallen mich von Dingen zu trennen, die zum Experiment gar nicht gehört haben und von welchen ich mich vorher nicht trennen konnte. Denn in diesem „was brauche ich“-Modus, konnte ich viel resoluter aussortieren und dadurch mehr Ruhe für die Augen schaffen.
KonMari vs. My Stuff
Vor drei Jahren habe ich dann die KonMari-Methode kennengelernt und fand sie sehr sehr praktisch. Allerdings, merkte ich schnell, dass ich mich nur dann bewusst von Dingen trennen kann, wenn ich innerlich gelassen und ausgeglichen bin. Die Methode funktioniert nur, wenn alles gut lief.
An den Tagen, an denenes weniger gut lief, habe ich nicht die Ruhe für die Entscheidung gehabt und war schnell überfordert. Resignierte und kam beim Ausmisten nur in Schneckentempo weiter. Durch unseren wunderschönen Nachwuchs, haben wir leider auch einen ständigen (oder wiederkehrenden) Zuwachs an Sachen wie Kinderkleidung, Kinderschuhe und manchmal Spielzeug. Was zu klein ist, sollte weg, trägt aber oft bestimmte Erinnerungen mit sich, was das Ausmisten manchmal erschwert.
Kurzgefasst – die KonMari-Methode funktioniert bei mir da nicht, wo Dinge zu Erinnerungsstücken werden.
Bei dem „My Stuff“-Experiment von 2016 war meine Sichtweise ein ganz andere. Ich habe mich gefreut, bestimmte Dinge endlich mal anziehen zu können und konnte mich von dem Druck, zu viel zu haben, kurzfristig trennen, denn meine ganze Aufmerksamkeit widmete ich den Kleidungsstücken die ich habe: ich habe sie gepflegt, geputzt und gewaschen, weil ich nur diese Kleidungsstücke zur Verfügung gehabt habe. Es ging um Wertschätzung.
Die Methode von Luukkainen funktionierte sehr beruhigend und eignet sich dadurch perfekt für Menschen, die sich nicht in der besten Lage befinden oder eine schwere Zeit erleben. Es schaffte mir Ruhe im Kopf und nahm, wie jedes Ausmisten, eine große Last von den Schultern. Und das obwohl ich das Experiment nur auf Kleidung und Schuhe beschränkt habe. Wie befreiend sollte dann das Experiment von Luukkainen dann gewesen sein?!
Die beiden Methoden sind sehr unterschiedlich und doch haben sie dasselbe Ziel: zu erkennen, was einen glücklich macht oder was man braucht.
Das Bewusste sich von Sachen trennen von Mari Kondo sorgt für äußere Klarheit und Aufgeräumtsein.
Das „Aus dem Auge – aus dem Sinn“-Prinzip von Petri Luukkainen dagegen bringt die Ruhe in die ‘unruhigen Köpfe’ und lässt dadurch Raum für die Frage „was brauche ich tatsächlich?“. Und für alle, die etwas mehr Zero Waste im Kopf suchen, ist das genau das richtige.
„Mein Stuff“ Challenge 2020
Und jetzt?
Ich lade euch herzlich ein mit uns an einer #MyStuffChallenge2020 teilzunehmen und ein gemeinsames Experiment zu starten, bei dem wir uns mit unserem Besitz auseinandersetzen.
Das ist der Plan:
1) Überlegt euch, wo ihr ausmisten oder minimalistischer werden wollt,
2) Nehmt euch die Zeit, zu entscheiden, warum ihr das wollt,
3) Entscheidet euch, ob ihr ein „Startpaket“ braucht, oder bei 0 anfangen wollt,
4) Packt alles weg (irgendwohin, wo es euch nicht stört),
5) Startet mit uns am 1.07. das Experiment auf Instagram (oder Facebook, oder in euren Blog oder in einem Tagebuch) und schreibt* täglich wie es euch dabei geht.
Ich werde mich täglich um ein kurzes Update bemühen und der Rest kommt in mein Tagebuch.
Habt ihr Fragen? Schreibt einfach in die Kommentare – wir freuen uns darauf!