Die Regionalgruppe Münsterland Gemeinwohl-Ökonomie
Am 24. Juni dieses Jahres setzten Münsters Kommunalpolitiker einen Meilenstein. Weitgehend unbemerkt von der weiten Öffentlichkeit könnte dieser Tag der Anfang eines Wandels gewesen sein – des Wandels der Stadt hin zu einem anderen Wirtschaftssystem: der Gemeinwohl-Ökonomie. Denn an diesem Tag beauftragte der Haupt- und Finanzausschuss die Verwaltung, diese andere Art zu wirtschaften auf städtischer Ebene voranzubringen. Ein städtisches Unternehmen soll die Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie für sich analysieren, außerdem soll sich die Stadt generell mit diesen Kriterien befassen.
„Das war ein großer politischer Erfolg“, sagt Tobias Daur. Er ist einer von zwei Koordinatoren der Regionalgruppe Münsterland Gemeinwohl-Ökonomie, die seit 2017 besteht. Vor dem Beschluss sprach er mit mehreren Politikern, erklärte ihnen die Ziele der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ): Kooperation statt Konkurrenz, eine Art des Wirtschaftens, die nicht nach Profit als Selbstzweck strebt, sondern nach dem größtmöglichen Gemeinwohl. Eine neue Idee, weder Kapitalismus noch Kommunismus.
Daur ist selbst Unternehmer, betreibt mit seiner Firma „Lands“ grünes Webhosting und berät grüne Firmen zu Design, Kommunikation und Gemeinwohl-Ökonomie. 2012 erlebte er Christian Felber, den Erfinder des GWÖ-Prinzips, auf der Messe „Karmakonsum“. Und war begeistert: „Ich dachte: Endlich macht jemand das systematisch, was du irgendwie immer schon gemacht hast“, erinnert er sich.
2014 war er an der Gründung von „Münster nachhaltig“ beteiligt. Anschließend nahm er mit Petra Teitscheid, Professorin an der FH Münster, die Sache mit der Gemeinwohl-Ökonomie in Angriff. Wie könnte man sie bekannter machen und in Münster vorantreiben? Den beiden war klar: Es müssen Pionierunternehmen her, die sich bilanzieren lassen. Denn die Gemeinwohl-Bilanz, die die Finanzbilanz der Unternehmen ablöst, ist das Herzstück der GWÖ. Teitscheid organisierte ein Seminar an der FH, und Studierende legten 2016 damit los, die ersten Unternehmen zu bilanzieren.
Dabei zogen sie die GWÖ-Matrix zu Rate. Wie verhält sich das Unternehmen gegenüber Mitarbeitenden, Kunden, der Standortgemeinde? Wie ist es um die Menschenwürde etwa in der Lieferkette bestellt? Wie um die ökologische Nachhaltigkeit und wie um Transparenz und Miteinscheidung? Zahlreiche Fragen wie diese, detaillierter aufgedröselt, werden für die Bilanzierung berücksichtigt. Sieben Unternehmen machten mit, „ von sehr öko bis konventionell“, wie Daur sagt. 2017 erhielten die Firmen ihre Zertifikate, und einige Aktive gründeten die Regionalgruppe. Derzeit sind etwa 40 Menschen in der Regionalgruppe aktiv. Einige sind wie Daur Unternehmer, andere am Thema Interessierte Privatleute.
Die Aktiven möchten nun zum einen das Konzept bekannter machen, etwa durch Stände auf Messen und durch Workshops, die Daur anbietet. Zum anderen ist da die politische Arbeit, die zum ersten großen Erfolg mit dem Beschluss vom Juni geführt hat. Den hatten CDU und Grüne gemeinsam eingebracht. „“Die GWÖ ist kein linkes Projekt“, betont Daur. Und: „Wir möchten die Zahl der Unternehmen vergrößern, die mitmachen.“ Inzwischen wurden über die Regionalgruppe insgesamt 13 Unternehmen zertifiziert; weitere in der Region haben es über andere Anbieter in Angriff genommen. Zu diesen Pionierunternehmen gehören die Cibaria-Vollkornbäckerei, das Kulturquartier, die Ray Group (Gebäudereinigung und -management) und der Raumausstatter Hegemann aus Bösensell. Warum sollte sich eine Firma zertifizieren lassen? „Das wirkt unwesentlich nach außen, aber wesentlich nach innen“, sagt Daur. Also: Der Werbeeffekt ist derzeit seiner Meinung nach noch gering. Aber: „Intern wird der Anspruch deutlich, etwas Sinnvolles zu tun.“ Und das wünschen sich doch die meisten Angestellten – dass ihre Arbeit sinnvoll ist. So werde das Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen.
Wohin soll das führen? Letztendlich: „Die Unternehmen und der Staat sollen so verändert werden, dass sie enkeltauglich und zukunftsfähig werden“, sagt Daur. Die Wirtschaftsweise in den Ländern des globalen Nordens müsse so umgestellt werden, dass sie GWÖ-kompatibel werde. „Das bedeutet Postwachstum, Regionalisierung und eine Umstellung des Konsums“, zählt Daur auf. „Die Politik muss die Regeln so verändern, dass es sich nicht mehr lohnt, ein böses Unternehmen zu sein.“ Ein Wirtschaften nach den GWÖ-Prinzipien müsse belohnt, ein gegenteiliges sanktioniert werden. Firmen sollten künftig nach dem Stakeholder-Prinzip arbeiten: also zum Wohle aller, die irgendwie mit dem Unternehmen verbunden sind – und nicht nur der Besitzer, der Shareholder. „Die EU ist da erheblich weiter als Deutschland“, berichtet Daur. Und sie sei global ein so großer Player, dass sie internationale Verträge im Sinne der GWÖ umgestalten könne. Die Regionalgruppe arbeitet daran, dass es auch im Münsterland vorangeht.
Hintergrund:
Grundlage der Gemeinwohl-Ökonomie ist Christian Felbers gleichnamiges Buch von 2010. Generell geht es um ein Wirtschaftssystem, das so aufgebaut ist, dass Unternehmen begünstigt werden, wenn sie gemeinwohlorientiert arbeiten. Ob sie das tun, wird durch die Gemeinwohl-Bilanz festgestellt. Sie soll in der GWÖ die Finanzbilanz als bisherige Hauptbilanz ablösen. Die Unternehmen, die am besten abschneiden, sollen dann etwa bei öffentlichen Aufträgen, bei Steuern oder Zöllen bevorzugt werden. Ziel und Zweck der unternehmerischen Tätigkeit ist in der GWÖ die Verbesserung des Gemeinwohls, nicht das Streben nach Gewinn wie im aktuellen Wirtschaftssystem. Zum Gemeinwohl gehören Werte wie Menschenrechte, Demokratie, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz.
Felbers Buch kann in der Stadtbücherei Münster ausgeliehen werden.