Schmale Sonnenbrillen, breite Jeans und enganliegende Shirts sind – genau wie Müll – absolut modern. In Zeiten einer sich hauptsächlich selbstversorgenden Gesellschaft gab es keinen Müll und keine Müllberge wie heute. Warum eigentlich nicht? Und was haben unsere Großeltern damit zu tun? Es folgt ein Blick in die Vergangenheit, um die Relevanz von Zero Waste und Low Waste zu verstehen.
Ein Text von Jana Jansen
Im Garten der Großeltern steht ein großer Kasten aus Holzlatten: ein Kompost. Hier werden gerade Küchenreste zu fruchtbarer Erde zersetzt, welche dann als nährstoffreicher Dünger dienen. Getreu dem Motto der 5 Rs (Refuse, Reduce, Reuse, Recycle und Rot) schließt die Kompostierung (Rot) den Wert- und Nährstoffkreislauf. In der vorindustriellen Gesellschaft bis Ende des 19. Jahrhunderts war Kompostierung unhinterfragte Praxis. Die klassische Müllabfuhr, wie wir sie heute kennen, gab es nicht einmal. Aus Gründen der Effizienz, durch neue Rohstoffe und knappe Räume haben wir die eine oder andere Praxis unter den Tisch fallen lassen. Was wurde anders gemacht?
Ganz einfach: Damals gab es keinen Müll
Gut, diese These greift etwas zu kurz. Dabei zeigt allein ein schneller Blick in die weiße Keramik, dass jeder Mensch mit zuverlässiger Gewissheit Abfälle produziert. Schätzungsweise häufen sich 50 Kilogramm Kot pro Kopf und Jahr an. Heute verunreinigen wir mit diesem Rohstoff Trinkwasser und spülen beides die Kanalisation herunter. Bevor es wasserbetriebene Kanalisationen gab, wurde hier ebenfalls das Prinzip des Kompostes oder von Jauchegruben angewendet; zusammen mit den Hinterlassenschaften gehaltener Tiere sorgte der Kot meist als Dünger für Bodenstabilität.
Aber der Kompost stößt an seine natürlichen Grenzen, wenn es an ausgebrannte Glühbirnen, Kühlschränke und Gefahrenstoffe geht. Die Herausforderung liegt also besonders in neuen Rohstoffen wie erdölbasierten Kunststoffen oder seltenen Erden und in der schieren Menge an produzierten Dingen.
Eine gelebte Kreislaufwirtschaft
Derzeit machen kompostierbare Abfälle statistisch rund ein Zehntel der gesamten Abfallmenge aus. Fest steht, dass die auf Selbstversorgung angelegte Wirtschaftsweise der vorindustriellen Zeit es verstanden hat, alle im Umlauf befindlichen Stoffe so lange wie möglich in Gebrauch zu halten: gelebte Kreislaufwirtschaft mit Verantwortung gegenüber den Dingen. Es wurde aufgetragen, repariert und weiterverwendet, was das Zeug hält. Und das im wörtlichsten aller Sinne.
Neben reparierenden Familiennamen, die bis in die heutige Zeit getragen werden, wie Schuster, Schmied und Schneider, sprechen auch die fehlenden Müllberge ihre eigene Sprache. War die Messerklinge zu stumpf zum Schnippeln der Bohnen, wurde sie nicht verbrannt oder deponiert, sondern geschärft, eingeschmolzen oder anderweitig genutzt. Kleidung kannte keine Saison, sondern einen Nutzen, und wurde geflickt, bis das Stück dem Nutzen nicht mehr dienlich war. Kurz: Die Gesellschaft verstand es, Dingen einen Wert zu geben, sparsam zu sein und diesen so lange wie irgend möglich zu erhalten. Das geschah nicht aus purer Romantik oder Liebe zur Umwelt, sondern weil die Menschen meist arm und Rohstoffe knapp waren.
Früher war alles besser – zumindest die Wertschätzung
Heute fehlt Dingen dieser Wert. Die Gründe sind vielschichtig. So treiben verschiedene Formen der Obsoleszenz – also der verkürzten Haltbarkeit von Produkten durch Trends oder mangelnde Reparierbarkeit – den Neukauf voran. Konsum und Abfall hängen eng miteinander zusammen. Die gestiegene Kaufkraft ermöglicht es mehr Menschen ausgedehnt zu konsumieren als früher. Die professionelle Abfallentsorgung ermöglicht es zudem, unnützen Dingen auf der Deponie oder im Mülleimer einen Platz zuzuweisen. Es gibt einen Raum für die ausgetragene Jeans: der Altkleidercontainer oder Hausmüll. Dort ist es möglich, sich seiner Verantwortung gegenüber den Rohstoffen zu entziehen; denn in der Kreislaufwirtschaft wird sich sicher jemand um diese Stoffe kümmern. Der beste Müll ist aber stets der, der gar nicht erst entsteht. Im Falle der Jeans kann diese einfach verschenkt oder auf dem Flohmarkt verkauft werden.
Endlich konnten sich durch das Wirtschaftswunder alle alles leisten, auf Kosten der Umwelt
Der dramatische Wandel von Sparsamkeit hin zur Verschwendung ist vor allem auf den Zeitraum der 1950er und 60er zurückzuverfolgen. Doch wir sollten vorsichtig sein, allzu hart mit unseren (Ur-)Großmüttern ins Gericht zu gehen dafür, dass sie der Selbstversorgung den Rücken gekehrt haben. Es war Mitte des 20. Jahrhunderts eine Errungenschaft, durch Plastik-Produkte und -Verpackungen die Intensität und Menge der Hausarbeit zu minimieren. Plastikverpackungen machen Lebensmittel bis heute mitunter haltbarer und leichter zu transportieren; das Geschirr nach dem Picknick einfach wegzuwerfen und den Sonntagnachmittag frei zu haben war gelebter Wohlstand. Der endlich so günstige Rohstoff Plastik konnte in allen Formen und Varianten billig produziert und zugänglich gemacht werden. Dass wir bis heute keine Lösung für das Problem haben, ist dabei in der Vergangenheit leider nur ein Nebenschauplatz.
Jetzt können wir nichts mehr reparieren und dafür alles loswerden
Auf der technischen Ebene werden Geräte immer komplexer und sind meist nicht mit einfachen Handgriffen zu reparieren, und uns fehlt das Wissen zur Reparatur. Für das Recht auf Reparatur macht sich dabei mit vielen Anleitungen die Reparatur-Bewegung stark. In den Siebzigern wurde in Ermangelung separater Entsorgung und eines funktionierenden Abfallmanagements von einer „Mülllawine“, welche die Gesellschaft unterspülte. Daraufhin wurde die Abfallsammlung und -verwertung gesetzlich in die kommunale Daseinsvorsorge überführt. Weiterhin hängt die produzierte Abfallmenge stark mit der Wirtschaft zusammen. In der Corona-Krise ist also erwartbar, dass weniger Abfall produziert wurde. Bekannt wurde unlängst, dass sich die Abfallaufkommen stark verschoben haben von öffentlichen Einrichtungen hin zu privaten Haushalten. Klar, wenn alle zuhause sitzen und nur das vermeintlich nötigste kaufen und verbrauchen.
Um auf die trendigen Sonnenbrillen der Einleitung zurückzukommen: Auch die Mode ist eine Industrie geworden, welche auf schnellem Absatz und großen Mengen basiert. Ob Wohlstand, Lebensqualität oder Bequemlichkeit: Weniger ist mehr. Auch, wenn es auf den ersten Blick aufwendiger scheint zu verzichten und umzudenken: Suffizienz ist das Schlüsselkonzept, was die verkürzte Aussage von „weniger ist mehr“ hin zur Frage lenkt: „Wann ist genug?“ und dann auch für Entspannung sorgen kann.
Vermeiden, wertschätzen und verwerten sind der Schlüssel, am besten im eigenen Garten
In der Corona-Krise wird deutlich, was passiert, wenn Menschen sich über einen Monat lediglich jene Dinge kaufen, die sie brauchen. Die Wirtschaft gerät ins Straucheln und Teile der Natur können aufatmen. Neben verlorenen Fähigkeiten der Selbstversorgung und Reparatur haben wir erlernt, dass wir Dinge wegwerfen können. Nur ist das eine Illusion. Dieses „weg“ haben wir immer noch nicht gefunden. Unser Müll taucht an Ecken der Welt auf, die kein Mensch je betreten hat und in Größen, die nur unter dem Mikroskop sichtbar werden. Abfallvermeidung ist mehr als eine Kaufentscheidung. Zero Waste ist eine Haltung. Fangen wir an, auf unseren eigenen Flächen, beispielsweise auf unserem eigenen Kompost.
Quellen und Weiterstöbern:
- Fischer-Kowalski, M., Haberl, H.: Stoffwechsel und Kolonisierung (1997): Ein universalhistorischer Bogen, in: Fischer-Kowalski, M. et al.: Gesellschaftlicher Stoffwechsel und Kolonisierung der Natur, Verlag Fakultas, Amsterdam, 1997, S. 25–35
- Geschichte des Mülls: Martin Kranert, Cord-Landwehr, Klaus (Hrsg.) (2019): Einführung in die Abfallwirtschaft, 4. Auflage, Springer Fachmedien, Wiesbaden
- Abfallaufkommen: Umweltbundesamt (2019): Abfallaufkommen https://www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/abfallaufkommen#siedlungsabfalle-haushaltstypische-siedlungsabfalle letzter Zugriff 01.06.2020
- Spannender Artikel über die Rolle von Cellophan und dem Aufwand im Haushalt der Fünfzigerhttps://disposableamerica.org/3400-2/
- Die Reparatur-Bewegung: http://repairmovement.org/