"Doch reicht es nicht, in der historischen
Dimension der Zwangsarbeit zu verharren"
Rede des münsteraner Sozialdezernenten Thomas Paal
Münsters Sozialdezernent Thomas Paal (r.)
und der Hiltruper Bezirksbürgermeister Joachim Schmidt (l.)
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Grußwort anlässlich der Einweihung der Gedenk- und
Informationstafeln für Zwangsarbeiter im Waldpark Hiltrup-Ost
von Thomas Paal, Beigeordneter für Soziales, Integration,
Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz der Stadt Münster am
09.07.2010 um 12:30 h an der Kanalpromenade, Abzweigung
Föhrenweg
- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Schmidt,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ganz herzlich darf ich Sie zu der Einweihung der Gedenktafeln
für Zwangsarbeiter hier in Hiltrup begrüßen und freue mich
über Ihr Interesse an dieser Veranstaltung, deren Anliegen kein
fröhliches ist: Erinnerung an begangenes Unrecht, an Verbrechen
und zugleich Mahnung. Mahnung an uns und folgende Generationen,
nicht zu vergessen, Mahnung aber auch alles in unserer Macht
Stehende zu tun, das Elend und die Not von Zwangsarbeit zu
verhindern, das Solschenizyn treffend "Den ersten Kreis der
Hölle" nannte.
Zu Beginn möchte ich all denjenigen ganz aufrichtig und
herzlich danken, die sich in den vergangenen Jahren mit langem
Atem, durch persönliches oder finanzielles Engagement mit dafür
eingesetzt haben, dass wir heute diese Gedenktafeln für
Zwangsarbeiter einweihen und der Öffentlichkeit übergeben
können.
Es sind dies:
- die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten, Kreisvereinigung
Münster, namentlich Herr Detlef Lorber, Herr Stefan Krause
Isermann und Herr Carsten Peters, die am 31.01.2007 die
Anregung an die Bezirksvertretung Hiltrup zur Aufstellung der
Gedenktafeln auf den Weg gebracht haben.
Die historische Prüfung und Recherche übernahmen:
- die Historikerin Frau Dr. Gisela Schwarze
und
- Herr Dr. Hannes Lambacher vom Archiv der Stadt Münster.
Des Weiteren ist zu nennen:
- der ausführende Bildhauer Bodo Treichler aus Münster, der
den Gedenkstein gestaltet hat.
Darüber hinaus fand die Idee, die Gedenktafeln zu
installieren Unterstützung bei:
- der evangelischen Kirchengemeinde Hiltrup
- den katholischen Kirchengemeinden St. Clemens und St. Marien
- dem ökumenischen Kreis für Frieden und Gerechtigkeit
- den verschiedensten Fachämtern der Stadt Münster sowie der
Bezirksverwaltung Hiltrup.
Finanzielle Beiträge zur Realisierung dieses Vorhabens
erbrachten die katholischen Kirchengemeinden und die evangelische
Kirchengemeinde, das Kulturamt der Stadt Münster, die
Bezirksvertretung Hiltrup sowie eine vom SPD Ortsverein
anlässlich einer Infoveranstaltung gesammelte Spende.
Worum geht es hier? Was ist das überhaupt - Zwangsarbeit? Die
"Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die
vor 10 Jahren vom deutschen Staat und der deutschen Wirtschaft
zur Entschädigung der Zwangsarbeiter gegründet wurde, schreibt
auf ihrer Homepage:
"Die Nationalsozialisten errichteten ein System der
Zwangsarbeit, dem Menschen aus allen Teilen Europas zum Opfer
fielen. Mehr als zwölf Millionen Menschen mussten zwischen 1939
und 1945 im Deutschen Reich und den deutsch besetzten Gebieten
arbeiten. Die meisten von ihnen kamen aus Polen, Russland,
Weißrussland und der Ukraine. Sie mussten unter unmenschlichen
Bedingungen in der Rüstungsindustrie und der Landwirtschaft
arbeiten, um den rasant steigenden Arbeitskräftebedarf der
deutschen Kriegswirtschaft zu decken. Auch in allen Bereichen des
öffentlichen Lebens wurden Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter eingesetzt." (www.stiftung-evz.de/ns-zwangsarbeit/historische_aufarbeitung;
ges. 04.07.2010, 13:21h)
Zwangsarbeit war im 20. Jahrhundert kein Unrecht, das auf
Deutschland beschränkt gewesen wäre. Insbesondere in der
ehemaligen Sowjetunion wurden in die Zwangsarbeitslager des Gulag
mehrere Millionen Menschen deportiert. Zahllose Menschen starben
dort.
Die Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus ist kein
abstraktes Thema. Sondern es betrifft uns ganz konkret. Auch in
Münster der damaligen Zeit und im Auftrag der Stadt Münster
wurden im "Herrenbrock" insgesamt 10 Baracken für bis
zu 480 Menschen errichtet.
In Hiltrup, es war damals noch ein Dorf mit ein paar tausend
Einwohnern, wurden an 94 Stellen 198 "Fremdarbeiter"
eingesetzt und zwar bei Landwirten, Handwerkern, in
Privathaushalten, vor allem aber bei den Hiltruper Röhrenwerken
(Hoesch) und Glasurit. Viele von ihnen haben die unmenschlichen
Lebensbedingungen nicht überlebt. Ihrer heute zu gedenken und an
die schrecklichen Verhältnisse zu erinnern und zu mahnen, ist
Sinn und Zweck von Gedenkstein und Informationstafeln.
Der Stein, von Herrn Bodo Treichler in Baumberger Sandstein
ausgeführt, dient dem Gedenken an die, die hier litten und
starben. Die Informationstafeln vermitteln Fakten und
Erinnerungen ehemaliger Zwangsarbeiter.
Ich weiß, dass es uns allen, die wir heute hier versammelt
sind, lieber wäre, die Ereignisse von vor über 70 Jahren, derer
wir mahnend gedenken, wären nie geschehen! Auch ist der Blick
zurück auf vergangenes Unrecht leicht, allzu leicht (?),
vorwurfsvoll, überlegen aus der Distanz. Doch darum geht es
heute nicht. Unser Blick zurück gilt den Opfern, ist Mitgefühl
für das Leid. Dieser Ort ist nicht nur Erinnerung, er sollte uns
auch helfen, den Blick in die Gegenwart und Zukunft zu lenken.
Lernen aus unserer Geschichte bedeutet hier: Einsatz für
Menschenrechte, für Völkerverständigung.
Auch nach Beendigung des II. Weltkrieges gab es und gibt es
noch heute Formen von Zwangsarbeit in unterschiedlichen Staaten
und Gesellschaftsformen. Das auf Empfehlung des Deutschen
Bundestages im März 2001 gegründet Deutsche Institut für
Menschenrechte hat vor gut einem Jahr das Projekt
"Zwangsarbeit heute - Betroffene von Menschenhandel
stärken" gestartet. Das Projekt ist zunächst auf drei
Jahre angelegt und wird in Kooperation mit der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" durchgeführt.
Alleine diese Tatsache belegt, dass das Phänomen Zwangsarbeit
auch in unserer Zeit in vielfältiger und oft subtiler Form z.B.
durch Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft
oder besonders verwerflich als Frauen- oder Kinderhandel zur
sexuellen Ausbeutung oder in Form der Kinderarbeit immer noch
existent ist. Zwangsarbeit hat eine aktuelle sozialpolitische
Dimension!
Aus der Geschichten lernen - das galt auch für die Mütter
und Väter unseres Grundgesetzes. In den mehr als 60 Jahren
seines Bestehens ist es vielfach geändert worden. Der Wesenskern
unserer Verfassung ist aber unveränderbar. Zu diesem Kern
gehören die unantastbare Würde des Menschen und die
rechtsstaatliche Ordnung, mit denen Zwangsarbeit unvereinbar ist.
Diese Werte zu schützen, sind wir aufgerufen. Wir die
Bürgerinnen und Bürger Münsters sind mit unserem Engagement
gefragt. Unser bürgerschaftlicher Einsatz ist nicht nur der
Kitt, der unsere Stadtgesellschaft zusammenhält, das soziale
Band, das diese Stadt zur Lebenswertesten macht.
Bürgerschaftliches Engagement hat mit großer Beharrlichkeit den
Ort des Gedenkens ermöglicht und wird sich auch um dessen Erhalt
sorgen.
Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass der ökumenische
Kreis für Frieden und Gerechtigkeit bereits seit über 15 Jahren
am Volkstrauertag einen Gottesdienst mit Gedenken für die
Zwangsarbeiter/innen durchführt. Mein Dank erstreckt sich aber
auch auf die Tatsache, dass sich mit Herrn Reinhard Meierjürgen
vom ökumenischen Kreis für Frieden und Gerechtigkeit und
Vertretern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Personen bereiterklärt haben, sich gemeinsam für die Pflege und
Instandhaltung der Gedenktafeln einzusetzen.
Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Kraft, sich dem Vergessen
entgegenzustemmen. Denn wir müssen weiter die Folgen von
Unrechtsregimen aufarbeiten und diese gerade bei jungen Menschen
bekannt machen und der Banalisierung und Bagatellisierung
entgegenwirken und das Unvorstellbare greifbar machen.
Doch reicht es nicht, in der historischen Dimension der
Zwangsarbeit zu verharren. Gegenwärtige, manchmal schwer
wahrnehmbare Arten der Zwangsarbeit verdienen unsere
Aufmerksamkeit. Heutige Opfer benötigen unseren Einsatz zu ihrem
Schutz. Hierfür wünsche ich uns die erforderliche Kraft. Dem
Ort des Gedenkens hier in Hiltrup mögen viele interessierte und
nachdenkliche Besucher beschieden sein.
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