Widerstand – ein Leben lang
Der Antifaschist Peter Gingold
lebt nicht mehr
Ein Nachruf von Ulrich Schneider
»Nie resignieren, und wenn welche
resignieren, dann macht ihnen Mut!«
Nach langer schwerer Krankheit starb Peter Gingold,
antifaschistischer Widerstandskämpfer, Kommunist aus
jüdischem Elternhaus und Internationalist, am 28. Oktober in
Frankfurt/M. im Alter von 90 Jahren.
Antifaschisten und Anhänger der politischen Linken
verschiedener Generationen haben Peter Gingold in den
vergangenen Jahrzehnten auf Veranstaltungen, in gemeinsamen
Aktionen auf der Straße und in Debatten über die
Konsequenzen aus der faschistischen Vergangenheit und für
eine sozialistische Alternative erlebt. Er war als Person
nicht nur Teil der politischen Bewegung, er stand mit seiner
Biographie auch symbolisch für politische Entwicklungen und
den Umgang mit der Erinnerung und Würdigung des
antifaschistischen Widerstandes in unserem Land.
Geboren am 8. März im Kriegsjahr 1916 in Aschaffenburg,
erhielt Peter Gingold seine persönliche und politische
Prägung in seinem jüdischen Elternhaus und in der
Arbeiterjugendbewegung. Sein Vater besaß eine kleine
Konfektionsschneiderei in Frankfurt/Main. Als Jugendlicher
erlebte er den Antisemitismus der Nazis. Er fragte sich und
seinen Vater, der mit seiner Arbeit eine achtköpfige Familie
zu ernähren hatte: »Du bist doch auch Jude, leidest auch
unter der Arbeitslosigkeit, wieso bist du an allem schuld?«
So einfach und gleichzeitig überzeugend stellte Peter Gingold
die faschistische Demagogie in Frage und begann als
Jugendlicher nach den Ursachen von Massenarbeitslosigkeit,
Armut und Ungerechtigkeit zu fragen. Bald schon organisierte
er sich im Zentralverband Deutscher Angestellter und im
Kommunistischen Jugendverband. Politische Erkenntnis und
Handeln waren für ihn untrennbar verbunden. Und so wirkte er
vor 1933 und nach der Machtübertragung an die NSDAP im
antifaschistischen Kampf. Bei einer Razzia der SA im Juni 1933
verhaftet, kam er erst nach mehrmonatiger Gefängnishaft frei
– mit der Auflage, Deutschland zu verlassen. Er folgte
seinen Eltern und Geschwistern, die bereits im Frühjahr 1933
nach Paris emigriert waren. Ruhe gab er dort aber auch nicht.
Er arbeitete im deutschsprachigen antifaschistischen Pariser
Tageblatt mit und gehörte zu den Gründern der Freien
Deutschen Jugend (FDJ) als überparteiliche antifaschistische
Jugendorganisation.
In Paris traf er zwei wichtige Entscheidungen, die sein
ganzes persönliches und politisches Leben geprägt haben:
1937 trat er der Kommunistischen Partei bei und 1940 heiratete
er Ettie Stein-Haller, die er in der FDJ-Arbeit kennen- und
lieben gelernt hatte. Über sechzig Jahre waren die beiden
verheiratet und haben sich gegenseitig in ihrer politischen
Arbeit und Überzeugung gestützt und gestärkt.
Im französischen Exil kam ihre erste Tochter Alice zur
Welt. Während Ettie Gingold sich um das Kind kümmerte,
mußte ihr Mann aufgrund der Verfolgung durch die Gestapo
untertauchen. Er schloß sich der Travail Allemand (TA) an,
einer Gruppe in der Résistance, die antifaschistische
Aufklärung unter deutschen Soldaten leistete. Während seiner
illegalen Zeit wurden zwei seiner Geschwister in Paris
verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Er selbst geriet 1943
in die Fänge der Gestapo. Ihm gelang jedoch mit Hilfe der
Organisation die Flucht. Peter Gingold nahm im August 1944 am
Aufstand zur Befreiung von Paris teil und setzte seine
antifaschistische Arbeit in den Reihen des 1. Pariser
Regiments in Lothringen und im April als Frontbeauftragter bei
den Partisanen in Norditalien fort. In Turin erlebte er den 8.
Mai 1945, der für ihn »das Morgenrot der Menschheit« war.
Zurückgekehrt nach Frankfurt/Main gehörten Peter und
Ettie Gingold zu den Gründern der hessischen Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes (VVN) und wirkten politisch in der
KPD. Doch während Peter Gingold für seine antifaschistische
Arbeit in Frankreich und Italien geehrt wurde, erlebten er und
seine Frau in Deutschland lange Jahre gesellschaftliche
Ausgrenzung. Als Widerstandskämpfern und Kommunisten wurde
ihnen viele Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert.
In Gefolge des KPD-Verbots mußte Peter Gingold zeitweilig
wieder in die Illegalität. Und er mußte die Verfolgung in
zweiter Generation erleben, als seine zweite Tochter Silvia
als Lehrerin viele Jahre mit Berufsverbot belegt war. Dabei
kamen ihm seine Kontakte zu französischen Antifaschisten
zugute. »A bas les Berufsverbote« wurde zu einer
millionenstimmigen Losung in den 70er Jahren in Frankreich.
Solch negative Erfahrungen mit der bundesdeutschen
Realität haben ihn nicht abgehalten, sich für seine Vision
einer sozialen und menschenwürdigen Gesellschaft, frei von
Krieg und Ausbeutung einzusetzen. Daß man dazu einen sehr
langen Atem braucht, auch Rückschläge verkraften muß,
vermittelte er in vielen Gesprächen und Vorträgen, besonders
gegenüber Jugendlichen. Und er forderte sie auf, selber aktiv
zu werden gegen Neofaschismus, Rassismus, soziale
Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. Dabei ging er mit gutem
Beispiel voran bei zahllosen Aktionen gegen alte und neue
Nazis, ob in Mittenwald, in Wunsiedel, in Frankfurt oder
Berlin.
Peter Gingold war ein vielgefragter Redner,
Gesprächspartner und Zeitzeuge, der politisch reflektiert,
engagiert und persönlich authentisch historische
Zusammenhänge vermitteln konnte. Er wurde eingeladen von
Schulen und Universitäten, von Jugendverbänden,
Gewerkschaften oder der autonomen Antifa, von der Gesellschaft
für christlich-jüdische Zusammenarbeit oder seiner Partei,
der DKP, und natürlich von der VVN-BdA, für die er in den
letzten Jahren als Bundessprecher politisch aktiv war. Nicht
zu vergessen sind seine Aktivitäten im Auschwitz-Komitee der
BRD, gegen die Profiteure der Kriegsverbrechen, zum Beispiel
der IG-Farben in Abwicklung, oder für den Verband Deutscher
in der Résistance, in den Streitkräften der
Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland«
e.V. (DRAFD). Hier – und das zeigte eindrucksvoll die Feier
zu seinem 90. Geburtstag im Frankfurter DGB-Haus– erlebte er
die Anerkennung, die ihm die bundesdeutsche Gesellschaft
verweigert hatte.
In seinem Schlußwort auf der Geburtstagsfeier formulierte
er noch einmal das Motto seines politischen Handelns: »Nie
resignieren, und wenn welche resignieren, dann macht ihnen
Mut!« Peter Gingold hat auf seine Weise Mitstreitern und
Nachgeborenen in vielen Aktionen und Situationen Mut gemacht.
Nun liegt es in der Verantwortung der Nachgeborenen – im
Sinne von Peter Gingold –, diesen Mut in Handeln für eine
Gesellschaft ohne Ausbeutung und Kriege einzubringen.
Die Trauerfeier zu Ehren von Peter Gingold findet im
November in Frankfurt/M. statt. Die Beisetzung wird in Paris,
im Familiengrab bei seiner Frau Ettie erfolgen.
Vor kurzem erschien die Dokumentation zum 90. Geburtstag
von Peter Gingold: Ulrich Schneider/Horst Gobrecht:
»Résistance = Widerstand – ein Leben lang!«. Hrsg.
Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis e.V., 60
Seiten, Ladenpreis 5 Euro, ab 10 Exemplare 3 Euro plus Porto,
zu bestellen bei: VVN-BdA Hessen, Eckenheimer Landstr. 93,
60318 Frankfurt/M.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/10-30/042.php |